Barbara Holzer, Mitinhaberin Holzer Kobler Architekturen GmbH

Prof. Barbara Holzer war nach dem Diplom 1991 an der ETH Zürich mehrere Jahre als freie Architektin in Berlin tätig, unter anderem für Daniel Libeskind. Gemeinsam mit Tristan Kobler gründete sie 2004 das international tätige Büro Holzer Kobler Architekturen in Zürich, weitere Standorte in Berlin, Köln und Nyon folgten. In seinem Œuvre vereint das multidisziplinäre Team aus (Innen-) Architekt:innen, Designer:innen, Grafiker:innen und Kurator:innen ein breites Spektrum an Kompetenzen: von Städtebau und Architektur bis hin zu Szenografie und Design. Seit 2010 hat Barbara Holzer zudem eine Professur im Bereich Architektur/Innenarchitektur an der Peter Behrens School of Arts in Düsseldorf inne.

www.holzerkobler.com

 

 

Was ist das Kerngeschäft/die Kernkompetenz Ihres Unternehmens?

Wir beschäftigen uns mit einer sehr grossen Bandbreite an «Architekturen» und bewegen uns in den verschiedensten Bereichen der Gestaltung – der architektonischen genauso wie der inhaltlichen. Vom Content Design bis zum Urban Design, von kleinen Bauvorhaben bis zu grossen, von schnellen Prozessen bis zu langfristigen, von ephemeren Projekten über temporäre bis zu dauerhaften: Wir lieben die Vielfalt. Nicht nur intern in unseren interdisziplinären Teams, sondern eben auch innerhalb unserer Bauaufgaben. Unsere Arbeit lässt sich mit einer Art Netz vergleichen, in dem wir uns frei bewegen und die unterschiedlichsten Erfahrungen und Kenntnisse miteinander verknüpfen und neu formen. Damit einher gehen stete Perspektivwechsel, die uns dabei helfen, immer wieder einen neuen, manchmal auch kritischen Blick auf unser Tun zu werfen. Die Dinge manchmal sprichwörtlich auf den Kopf zu stellen und aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten, kann eine zielführende Methode sein, Räume neu zu interpretieren. Der Perspektivwechsel lässt uns relevante Themen erkennen und mit bestehenden Konventionen brechen. Und nur so lässt sich auch die Wechselwirkung von Raum und Mensch verstehen. Denn am Ende geht es in der Architektur doch um Interaktion: Wie interagieren Menschen in und mit Räumen? Wie verhalten sie sich? Erfolgreiche, gelebte Architekturen zeichnen sich also – unabhängig von der Architektursprache – über die Akzeptanz der Menschen aus. Menschen besetzen Räume, erleben diese atmosphärisch, sind von ihnen angezogen und fasziniert. Oft reicht ein einfaches Hervorholen und Verdeutlichen räumlicher Potenziale und Qualitäten aus, um für die Gemeinschaft zukunftsfähige, städtische Orte der Identifikation zu gestalten und erlebbar zu machen. Und darum geht es uns im Kern: Lösungen und Antworten auf ein soziales Miteinander zu finden – und dies auf den unterschiedlichsten Ebenen.

Uns ist ausserdem wichtig, uns in der Lehre zu engagieren und uns über unsere Erfahrungen, Werte und Haltungen auszutauschen und weiter an den Themen zu forschen, die uns bewegen. Wir wollen den Blick für unsere Disziplin, aber auch darüber hinaus öffnen bzw. schärfen und Input liefern, der es den Studierenden ermöglicht, neue, eigene Erkenntnisse zu erlangen. Auch diese Aufgabe ist sehr vielschichtig und unser Ziel ist es, gemeinsam mit dem Nachwuchs Denk- und Möglichkeitsräume in der Architektur zu ergründen und zu erforschen – was auch uns wieder neue Blickwinkel und unerwartete Verknüpfungen ermöglicht, aus denen Innovationen entstehen können.

Worin unterscheiden sich Ihre Dienstleistungen/Produkte von denen der Mitbewerber?

Wir unterscheiden uns vor allem in unserer offenen Herangehensweise bzw. extravertierten Methodik. Denn wir spannen den Begriff der «Architekturen» viel weiter auf und verstehen ihn als Öffnung und Erweiterung der Denkräume und Betätigungsfelder in der Architektur. Wir orientieren uns an Fragen der gesellschaftlichen Integrität, des kulturellen Mehrwerts und der nachhaltigen Entwicklung innerhalb der sich stetig ändernden Anforderungen an Lebens- und Arbeitsräume. Zudem betrachten wir Architektur nicht als statisch, sondern als dynamisches Geflecht, das sich permanent verändert und nur einen temporären Zustand erzeugt. Wir suchen nach ganzheitlichen Lösungen, die sich von standardisierten Konzepten befreien, Identität stiften und Leitplanken für zukünftige Lebens- und Gestaltungsweisen setzen. So geht es uns unter anderem um Prototypen und Erfindungen im Grossen wie im Kleinen, die wegweisend sein und andere Gestaltungsideen massgeblich beeinflussen können. Wobei wir keine wiedererkennbare Formensprache pflegen, sondern vielmehr die Einzigartigkeit in jedem Werk forcieren – woraus sich dementsprechend ein gestalterischer Reichtum ergibt, der aus einer Vielzahl von Unikaten besteht.

Mit welchem Projekt/bzw. welchen Projekten beschäftigen Sie sich gerade?

Zurzeit beschäftigen wir uns mit städtebaulichen Projekten, der Entwicklung preisgünstiger und nachhaltiger Wohnbaukonzepte sowie der Gestaltung zahlreicher Kultur- und Ausstellungsprojekte. Auch wenn das in der Aufgabenstellung unterschiedlich klingt, ist all diesen Projekten gemein, dass sie aus dem Anspruch entstehen, für eine bestimmte Aufgabe und einen spezifischen Ort eine einzigartige Lösung zu finden, die Altes, Gegenwärtiges und Künftiges mit einbezieht und neu interpretiert. Wir suchen nach dem Verbindenden, nach Gemeinsamkeiten und Synergien – aber auch nach Bruchlinien. Und hier kommt uns immer wieder unser Netzwerk aus Wirtschaft, Wissenschaft, Forschung, Kunst und Kultur zugute: Je nach Projekt werden bestimmte Aufgaben ausgelagert bzw. konkretes Wissen und fachliche Kompetenzen von aussen eingebunden. Ich schätze Kooperationen und die Arbeit im Team sehr, intern genauso wie extern. Das ist eine Frage der Schwarmintelligenz: Es lässt sich so wahnsinnig viel von anderen lernen – im Dialog und in Begegnungen. Diese Kompromissfindung, die auf vielen Ebenen stattfindet, ist ebenfalls typisch für unsere Methodik. Dabei wird es vor allem dann spannend, wenn sich viele Anforderungen überlagern und ein «unperfekter» Prozess vorangetrieben wird, der unendlich viele Möglichkeiten in sich trägt.

Aktuell bemerken wir, dass sich die Themen verändern und sich das Bild des Architekten/der Architektin wandelt. So sind beispielsweise Fragen der Nachhaltigkeit oder politische Aspekte heute ebenso zentral wie Klimaschutz, zahlbarer Wohnraum oder Verdichtung und Demografiewandel. Umso wichtiger ist also ein generalistischer Blick auf die Zusammenhänge innerhalb jedes einzelnen Projekts, um die übergeordneten Themen zu reflektieren und in die Arbeit mit aufzunehmen. Die generalistische Perspektive ist Voraussetzung, um über die gesellschaftlichen, kulturellen, politischen Entwicklungen nachzudenken und an ihnen teilzuhaben. Für uns als Architekt:innen geht es darum, wie wir heute strategisch unterwegs sein können.

Wie sieht ein typischer Arbeitstag bei Ihnen aus?

Den typischen Arbeitstag habe ich eigentlich gar nicht. Jeder Tag gestaltet sich ein wenig anders: Häufig bin ich gar nicht im Büro, sondern unterwegs – bei Präsentationen, Jury-Sitzungen, Vorträgen oder an der Hochschule. Und ich kann mir das auch gar nicht anders vorstellen: Ich finde es eigentlich ganz schön, wenn jeder Tag für sich eine Überraschung oder etwas Unerwartetes mit sich bringt. So kann ich auch jedem Tag wieder ganz neu und vor allem neugierig begegnen.

Was treibt Sie an? Was bringt Sie morgens aus dem Bett?

Die Gedanken, die ich mir am Abend davor zu diversen Themen gemacht habe und die noch offene Enden hatten – ich knüpfe sehr gerne am Morgen daran an und spinne sie weiter.

Welche Eigenschaften halten Sie in Ihrem Beruf für besonders wichtig?

Es braucht auf jeden Fall Energie und Willenskraft, um sich für etwas einsetzen zu können und zu wollen. Und natürlich Empathie: Es ist wichtig, dem Gegenüber gut zuzuhören und sich in seine/ihre Bedürfnisse einzufühlen. Schliesslich geht es bei unserer Arbeit darum, vielfältige Bedürfnisse und Themen zusammenzubringen bzw. diese miteinander zu verknüpfen und daraus etwas Neues zu schaffen. Es braucht auch das Gefühl für kollektive Intelligenz, also das Integrieren anderer Kompetenzen und Disziplinen. Und zu guter Letzt das Wissen darum, was die Gesellschaft aktuell beschäftigt – ein sehr wichtiger Aspekt, der mit unserem Beruf eng verbunden ist. Ich betrachte Architektur als Wirkungsfeld, in dem gesellschaftliche Denkweisen, Prozesse und Visionen angeregt werden können.

Was ist Ihr wichtigstes Arbeitsinstrument?

Mein Gegenüber! Also der Dialog an sich – egal, ob er analog oder digital stattfindet. Dementsprechend sind alle Mittel und Instrumente wichtig, mit denen es gelingt, ein Gespräch zu führen und einen gemeinsamen Diskurs anzuregen.

Worüber haben Sie sich kürzlich geärgert?

Ärgern ist eine Energie, die am besten umgelenkt und in etwas Positives verwandelt werden muss. Mir ist es wichtiger, dass nicht Probleme, sondern vielmehr die Lösung und das Handeln im Fokus stehen.

Von welchem architektonischen/innenarchitektonischen Werk sind Sie besonders angetan?

Im Prinzip ist es kein einzelnes oder spezielles Werk, sondern eher Architektur, die mit grosser Radikalität oder Einfachheit versucht, Räume zu definieren. Mich fasziniert die brutalistische Architektur mit ihren klaren Formen, authentischen Materialien und Konstruktionen genauso wie die feine japanische Architekturphilosophie, die sich eher durch extreme Leichtigkeit und Minimalismus auszeichnet. Am Ende sind es Gebäude bzw. Räume, deren Gestaltende sich einem expliziten Prinzip verschrieben haben und damit eine absolute Klarheit erkennbar machen.

Welches Produkt/welche Idee/welche Leistung hat Sie kürzlich beeindruckt?

Mich beeindruckt die Idee, einen Raum als Narrativ zu verstehen. Also Stadt und Architektur nicht mehr allein von oben zu betrachten, sondern eher auf Augenhöhe – aus einer Perspektive, die Narrative und Szenen möglich macht. Und den Menschen Raum gibt, sich entfalten zu können.

Auf welche Musiktitel würden Sie auf einer einsamen Insel nicht verzichten wollen?

Ich würde auf jeden Fall einen Titel wählen, der aufputschend wirkt und dazu animiert, die grosse Herausforderung anzunehmen, ein Floss zu bauen! Ich denke da an die frühen Werke von Madonna, die unheimlich energetisch sind und absolut nichts Beruhigendes haben…

Mit wem würden Sie gerne einmal ein Glas Wein trinken?

Mit Lesley Lokko, die 2023 die 18. Architekturbiennale in Venedig kuratieren wird. Die ghanaisch-schottische Architektin hat im Prinzip kein gebautes architektonisches Werk, sondern kann vielmehr durch ihre Lehre und Schriften bzw. Bücher ihre diverse und kritische Sicht auf die Architektur, auf ihre Einflüsse, Kraftzentren und Entwicklungen mit uns teilen. Ich finde sie eine unglaublich spannende Wahl für diesen Job und würde gerne bei einem Glas Wein mit ihr darüber reden.

barbara holzer ©Sven Bänziger