Eva Schmidt, Geschäftsführerin Schweizer Fachstelle für hindernisfreie Architektur
Seit 2018 leitet Eva Schmidt als Geschäftsführerin das Team der Schweizer Fachstelle für hindernisfreie Architektur und die Geschäfte der Trägerstiftung. Nach dem Architekturstudium an der EPFL und ersten Praxiserfahrungen in Architekturbüros ist sie 1995 bei der Fachstelle, damals noch «Schweizerische Fachstelle für behindertengerechtes Bauen» mit der Aufgabe eingestiegen, einen neuen Fachbereich für sehbehinderten- und blindengerechtes Bauen aufzubauen. So durfte sie sich in Fragen der visuellen Gestaltung, Beleuchtung, Information nach dem Mehrsinneprinzip und des hindernisfreien Verkehrsraums spezialisieren und an diversen internationalen und nationalen Forschungs- und Normprojekten mitwirken.
www.hindernisfreie-architektur.ch
Was ist das Kerngeschäft/die Kernkompetenz Ihres Unternehmens?
Wir erarbeiten Grundlagen für eine hindernisfreie Architektur, erstellen Merkblätter, Richtlinien oder Fachartikel, um es Planenden und Bauherren zu erleichtern, die gebaute Umwelt hindernisfrei zu gestalten. Unsere Publikationen und Informationen sind auf der Website www.hindernisfreie-architektur.ch frei zugänglich, die Erkenntnisse aus der Grundlagenentwicklung bringen wir in den einschlägigen nationalen und internationalen Normprojekten ein. Wir fördern die Realisierung einer hindernisfreien Architektur mit Sensibilisierungen, z.B. in der Ausbildung von Architekturschaffenden, und mit eigenen Weiterbildungskursen. Im Netzwerk «Hindernisfreies Bauen» unterstützen wir die kantonalen Fachstellen bei der Beratung und Projektbeurteilung.
Worin unterscheiden sich Ihre Dienstleistungen/Produkte von denen der Mitbewerber?
Als von Bund und den Kantonen anerkanntes nationales Kompetenzzentrum haben wir die einmalige und spannende Aufgabe, die Anforderungen an die gebaute Umwelt, die es Menschen mit Behinderung möglich machen selbständig zu wohnen, zu arbeiten und am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben, zu erforschen, zu dokumentieren und zu vermitteln. Andere Stellen, die sich für hindernisfreies Bauen engagieren, Organisationen wie private Firmen und Forschende an Hochschulen stellen für uns keine Konkurrenz dar, sie ergänzen unsere Tätigkeit. Bei der Mittelbeschaffung besteht ein gewisser Wettbewerb, da die verfügbaren Fördermittel nicht ausreichen, um alle nötigen Projekte und Dienstleistungen zu finanzieren. Ich bin jedoch überzeugt, dass unsere Strategie, mit einem kleinen Team von Architekturschaffenden und betroffenen Expertinnen und Experten die hindernisfreie Architektur weiterzuentwickeln, herausragend und besonders wirkungsvoll ist.
Mit welchem Projekt/bzw. welchen Projekten beschäftigen Sie sich gerade?
Aktuell steht der hindernisfrei-anpassbare Wohnungsbau im Fokus, der in der Praxis noch viel zu wenig umgesetzt wird. Dies liegt unter anderem an den ungenügenden Vorgaben des Behindertengleichstellungsgesetzes und einiger kantonaler Baugesetze. Unsere Broschüre «Neue Wege im Wohnungsbau» hat zum Ziel, Gesetzgeber wie Bauherren mit Fakten und Argumenten von dem genialen Konzept zu überzeugen, welches Wohnungen für jede Lebenslage gut nutzbar macht. Mit der Richtlinie «Wohnungsbau hindernisfreie – anpassbar» zeigen wir Lösungen für die Planung und erklären Bauherren ihre Vorteile, wenn sie die Massnahmen freiwillig umsetzen, auch wo es gesetzlich nicht gefordert ist.
Inklusion von Menschen mit Behinderung wird erst Realität, wenn möglichst alle Wohnungen so gebaut werden, dass sie an die unterschiedlichsten Bedürfnisse der Menschen angepasst werden können und für alle besuchbar sind. Standardmässig hindernisfrei-anpassbar gebaute Wohnungen sind in jedem Fall praktisch, gut möblierbar, komfortabel. Von Beginn an so geplant sind sie nicht teurer und damit gesellschaftlich nachhaltig.
Wie sieht ein typischer Arbeitstag bei Ihnen aus?
Kein Tag ist gleich wie der andere. Einmal ist er gespickt mit Normenmeetings oder Diskussionen mit betroffenen Fachexperten, dann wieder werden Fragestellungen recherchiert und aufgearbeitet – beispielsweise Kriterien für gut erkennbare Markierungen an Glastüren – Weiterbildungskurse, Symposien, Fachreferate oder Netzwerktreffen vorbereiten. Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung arbeiten wir in unseren Publikationen für alle verständlich auf und kommunizieren sie über die Webseite und Newsletter. Immer wieder erreichen uns auch spannende Fragen aus der Praxis, von Fachspezialisten, Planenden und Bauherren. Bei der Auslegung am konkreten Objekt lassen sich Grundlagen vertiefen, die Anwendung von Lösungen und konkreten Massnahmen überprüfen.
Was treibt Sie an? Was bringt Sie morgens aus dem Bett?
Überzeugt davon, dass es keinen Widerspruch gibt zwischen guter Architektur und der Nutzungsqualität hindernisfrei gebauter Räume fällt es mir leicht, mich im Alltag zu motivieren. Meine Aufgaben begeistern mich täglich von neuem und sie zeigen Wirkung für die Gesellschaft ebenso wie für einzelne Menschen, die ich persönlich kenne. Die Wechselwirkung zwischen dem Menschen und der gebauten Umwelt zu untersuchen ist spannend, daraus Anforderungen, Regeln und planerische Lösungen herzuleiten ohne Gestaltungsspielräume stark einzuschränken fordert mich kreativ und intellektuell.
Welche Eigenschaften halten Sie in Ihrem Beruf für besonders wichtig?
Gut zuhören können, Verständnis für unterschiedliche Ziele und Interessen und viel Kreativität, um Lösungen zu finden, die allen gerecht werden.
Was ist Ihr wichtigstes Arbeitsinstrument?
Augen und Ohren für das offene Gespräch mit selbst betroffenen Expertinnen und Experten, Planenden, Behörden und Investoren; Fotoapparat und Computer, um Ideen und Lösungen festzuhalten.
Worüber haben Sie sich kürzlich geärgert?
Als ein Gericht die ästhetische Wirkung des Schattenwurfs an Unebenheiten und Fugen roher Steine höher gewichtete als die Begehbarkeit und Befahrbarkeit der Pflästerung auf einer wichtigen Fussgängerfläche und wir uns nicht wehren konnten, da die Interessensabwägung durch die nächsthöhere Instanz nur überprüft wird, wenn im Rechtsverfahren formale Fehler nachgewiesen werden können.
Von welchem architektonischen/innenarchitektonischen Werk sind Sie besonders angetan?
Der Brahmshof von Kuhn Fischer Partner Architekten in Zürich, der vor 30 Jahren als Pilotprojekt das Konzept des hindernisfrei-anpassbaren Wohnungsbaus erstmals vorbildlich umgesetzt hat – und noch heute eine hohe Wohnqualität bietet, die sich an aktuelle Bedürfnisse der Bewohnenden anpassen lässt.
Welches Produkt/welche Idee/welche Leistung hat Sie kürzlich beeindruckt?
Ein Rollstuhlfahrer, der während Tagen, Wochen und Monaten auf dem Klosterplatz Einsiedeln Besucher angesprochen und Geld gesammelt hat, damit das Kloster seinen Teil des Vorplatzes mit hindernisfrei befahrbaren Pflästerungen ausstatten kann.
Auf welche Musiktitel würden Sie auf einer einsamen Insel nicht verzichten wollen?
Die Lieder von Mani Matter, zum Beispiel «Dynamit».
Mit wem würden Sie gerne einmal ein Glas Wein trinken?
Mit Carine Bachmann, Direktorin des Bundesamts für Kultur. Gerne würde ich mit ihr über den Stellenwert einer hindernisfreien, inklusiven Architektur im Kontext von Baukultur und dem aktuellen baukulturellen Diskurs in der Schweiz reden.