Bijou in der Altstadt

Die beiden Innenarchitekten Carmen und Remo Gasser Derungs bewohnen ein denkmalgeschütztes Altstadthaus in Chur. In dem einst von Rudolf Olgiati renovierten Gebäude haben Sie ihren ganz persönlichen Stil umgesetzt – geprägt von Kunst, ausgesuchten Möbeln und inspirierenden Details.

Weissgraue Fassaden dominieren den intakten Kern der Churer Altstadt, die von schmalen, meist 4-geschossigen Gebäuden bestimmt ist. Das „Haus Zschaler“ an der Oberen Gasse sticht jedoch mit seinem roten Grundton aus der spätgotischen Häuserzeile hervor. Die Fassadenmalerei – seitlich rahmen zwei prunkvolle Säulen das Gebäude, dazwischen schmücken und betonen dreidimensional wirkende Ornamente und Verzierungen die Fenster – stammt von dem Sgraffitokünstler Steivan Liun Könz, dem Sohn der Autorin Selina Chönz, die unter anderem den Schellenursli schrieb. Das Muschel-, Rank- und Rollwerk, die allegorischen Figuren und verschiedenen Sprüche im Stil der deutschen Renaissance verweisen auf das Innendekorationsgeschäft des damaligen Hausbesitzers.

Wer sich die auffällige Fassade genauer anschaut, erkennt zudem, dass jede Etage ein anderes Fensterformat aufweist: Während im ersten Stock über dem heutigen „Café Zschaler“ die beiden Fenster etwas breiter als quadratisch sind, sind die beiden Fenster im zweiten Stock schmal und hochformatig, die Fenster darüber quadratisch. Im Giebeldach prangt ein Fenster, das bedeutend grösser als die übrigen ist. Entpuppt sich das „Haus Zschaler“ hinter seiner pittoresken Fassade nicht ganz so traditionell, wie es von aussen scheint?

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Olgiatis Renovation

Das Haus ist auf jedem Churer Stadtrundgang ein Blickfang und gehört zu den kulturellen Höhepunkten der – laut „Bündner Tagblatt“ – ältesten Stadt der Schweiz. Von 1974 bis 1977 wurde das Gebäude vom 1995 verstorbenen Bündner Architekten Rudolf Olgiati umgebaut und renoviert. Olgiati war einer der ersten, die Mitte der 1950er-Jahre die Bedeutung und Wirksamkeit historischer Gestaltungsprinzipien für die zeitgenössische Architektur entdeckten. Er arbeitete im Spannungsfeld zwischen lokaler Bündner Bautradition, antiken Vorbildern und einer sich vor allem an Le Corbusier orientierenden Moderne.

Olgiatis Umbau und Renovation des „Haus Zschaler“ ist noch heute ein beeindruckendes Beispiel für einen gelungenen Eingriff in den Bestand. Olgiati veränderte die Struktur des Gebäudes auf der Südseite und im Inneren. Er baute im Erdgeschoss ein Café ein, beliess jedoch die reich bemalte Fassade zur Oberen Gasse fast unberührt. Rudolf Olgiati verstand es, im Inneren historische Elemente in eine zeitgenössische Formensprache zu über­setzen und so den Geist des historischen Hauses zu erhalten und das Gebäude im Gesamteindruck der Altstadt zu bewahren.

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Haus Zschaler

Ursprünglich enthielt das Gebäude Geschosswohnungen. Rudolf Olgiati teilte diese in elf kleine Studio-Wohnungen auf und gab ihnen den Komfort von heute. Dennoch beliess und betonte er die Spuren der Zeit, wie etwa die alten Balken und Holzdecken; neben neuen Materialien, Bauteilen und Einbauten, zeigen sich die historischen Elemente umso stärker. „Die erste Wohneinheit konnten wir von Paul Gredinger erwerben. Gredinger war Mitgründer der bekannten Werbeagentur GGK und damaliger Bauherr vom Umbau des Zschalerhauses. Er war ein Freund und Förderer Rudolf Olgiatis.“ erklärt Remo Derungs.

Da Carmen und Remo Gasser Derungs erst eine Wohneinheit und dann Jahre später eine zweite und dritte im Stockwerk darüber erwerben konnten, kam der Wunsch auf, alle miteinander zu verbinden. Mit wenigen Eingriffen öffneten Sie die Räume und verbanden diese in der Vertikalen: Dafür wurde eine transparente, leichte Innentreppe entworfen. Das filigrane Holzkonstrukt dient zwar als Treppe, wirkt jedoch wie ein transparentes Raumgebilde, das auch als Regal oder gar als Sitzplatz nutzen kann.

Betreten wird die Wohnung im 1. Obergeschoss. Hier empfängt ein durchgehend offener Raum die Besuchenden, in dem Kochen und Essen die öffentliche Zone bilden. Gleich links vom Eingang befindet sich das abgetrennte WC mit Dusche. Dann folgt der Kochbereich, deren Mittelpunkt der Herd und das markante Abwaschbecken aus Zement darstellen. Die Küchenzeile mit den darunterliegenden Einbauschränken folgt der Wand entlang bis zu den Fenstern mit Blick auf den Vorplatz. Neben viel Stauraum wurde so eine kontinuierliche Ablagefläche geschaffen; die Abdeckung in der Küche mit Unterschränken wird nahtlos zum Sideboard im Wohnbereich. Eine dünne Abdeckung aus Messing dient als verbindendes Element.

Parallel zum Fenster lädt der von den beiden Innenarchitekten selbst entworfene Tisch zu ausgiebigen Essen mit Freunden und Bekannten ein. Daneben bildet der skulptural geformte Liegesessel „La Chaise“ von Ray und Charles Eames einen organischen Gegenpart zur klaren, kubisch geprägten Innenarchitektur. Der Liegesessel und der mit geflecktem Fell bezogene Fauteuil bilden die Leseecke, während die alte Truhe aus dem Jahr 1724 Farbe und Friese der Holzdecke aufnimmt und so eine vereinheitlichende Verbindung darstellt.

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Das darüberliegende Geschoss gehört der privaten Ebene. Durch die filigrane Treppenkonstruktion gelangt man hinauf ins 2. Obergeschoss und findet neben einem Nebenraum (Reduit) den Schlafbereich sowie einen grosszügiger Ankleide- und Badbereich vor. Als Pendant zum langen Einbaumöbel im unteren Geschoss, bildet auch hier ein durchgehendes Regal auf Tischhöhe Raum für Bücher und gesammelte Trouvaillen; es lässt sich auch als Präsentationsebene für Fotos und Bilder nutzen. Drei wandinstallierte Tolomeo-Leuchten lassen sich richten und setzen so punktuelle Lichtakzente. Das Bett ist nahe den Fenstern positioniert, ein Futon, hinter dem ein schmaler Schreibtisch eine Art Rücken bildet. Dahinter verbirgt ein raumhoher Vorhang ein Kleiderregal, das die gesamte Länge der Wohnung nutzt. Etwas abgeschirmt liegt der Ankleide- und Badebereich: Während das WC in einem separaten Raum verborgen ist, bleiben die Wanne sowie das Lavabo Teil des offenen Ankleidebereichs. Als Reminiszenz an den nahen Wald kann der Stamm einer Lärche aus dem Flimser Wald verstanden werden, die neben dem Lavabo zwischen Boden und Decke eingespannt ist. Ihre Aststümpfe dienen als Kleiderhacken.

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Authentische Materialien

Während im Wohngeschoss repräsentative Materialien zur Anwendung kommen, unterstützt auf der privaten Ebene eine eher spartanische Materialwahl die klare Formensprache. Im 1. Obergeschoss prägt ein weisser, leicht geflammter Marmor den Boden und bietet eine wunderbare Bühne für Tisch, Stühle und die alte Truhe aus den unterschiedlichsten Hölzern. Zum weissen Boden bildet die hölzerne Kassettendecke ein markantes Gegenstück, ebenso die goldene Abdeckung der Küchenzeile aus Messing. Weiss ist vorherrschend; so wie auch bei der langen Küchenzeile aus weiss geölter Fichte. Diese bildet eine Bühne für die ausgesuchten Leuchten und Wohnaccessoires, wie auch für Kunst. So beispielsweise die Abbildung eines Flimser Urwalds von dem Fotokünstler Wilfried Dechau oder das grafisch-abstrakte Bild „Blue Heron“ der amerikanischen Künstlerin Max Cole.

Im oberen Schlafbereich besteht der Boden aus geschliffenem Beton. Die Decke zeigt zwischen den alten Balken ebenfalls den rohen, modernen Beton der Renovation. Das lange Regal ist farblich ebenso zurückhaltend wie die Vorhänge aus bündner Naturleinen vor der Schrankfront. Das eher puritanisch gehaltene Ambiente wirkt ruhig und unprätentiös.

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Tradition und Moderne bilden nebeneinander auf zwei, heute miteinander verbundenen Obergeschossen ein inspirierendes Ganzes, in dem gewohnt und gearbeitet wird. Die offenen Räume wurden für eine sehr persönliche Lebensweise durchdacht und eingerichtet. Besonderer Respekt galt der historischen Struktur und den alten, zu erhaltenden Materialien, die mit ergänzenden, passenden Oberflächen kontrastiert wurden. Dazu sagt Carmen Gasser Derungs: „Wir haben mit den selben Materialien, wie sie auch Rudolf Olgiati immer wieder bei seinen Häusern verwendet hatte, versucht das Haus weiter zu entwickeln. Marmor für die Böden, Weissputz für die Wände, Messing für Details wie die Schrankgriffe und Küchenarbeitsfläche oder Naturleinen für die Vorhänge“.

Ganzheitliches Denken und Gestalten, der Umgang mit bestehenden Strukturen und die Integration und Anpassung an heutige Bedürfnisse der Innenarchitekten: Im „Haus Zschaler“ kommt die Denkweise der beiden Innenarchitekten beispielhaft zur Geltung. Sinnlich und präzise, provisorisch und doch eingerichtet – so planten und gestalteten Carmen Gasser Derungs und Remo Derungs ihre zwei Wohnétagen im historischen Bijou in der Altstadt.

gasser, derungs Innenarchitekturen GmbH

Carmen Gasser Derungs und Remo Derungs haben beide an der ZHDK Zürich Innenarchitektur studiert, wohnen in Chur im „Haus Zschaler“, arbeiten zusammen mit ihrem Team als gasser, derungs Innenarchitekturen GmbH in Zürich und Chur.

Carmen Gasser Derungs hat sich am Art Institute of Chicago weitergebildet und besitzt einen MAS ZFH in Design Culture. Sie ist Professorin an der Hochschule Luzern HSLU – Institut für Innenarchitektur. Remo Derungs hat nach abgeschlossenem Studium im Atelier Peter Zumthor und im Studio Alfredo Häberli gearbeitet. Er ist Lehrbeauftragter für Innenarchitektur an der SUPSI – Scuola universitaria professionale della Svizzera italiana, Lugano. Seit 2017 ist er Präsident der VSI.ASAI. (Vereinigung Schweizer Innenarchitekten/Architektinnen) 

Carmen Gasser Derungs und Remo Derungs verwalten gemeinsam die Künstlerische Leitung von „Das Gelbe Haus Flims“. Das Haus ist eine Plattform, die in Flims Kultur mit nationalem und internationalem Anspruch fördern und einen Beitrag für einen ambitionierten Kulturdiskurs leisten soll.

Weitere Informationen unter:  www.gasserderungs.ch

 

Text: Gerald Brandstätter

Fotos: Ralph Feiner