Geist der Moderne in Rüti

Kompromisslos und trutzig hebt sich das „Trümmlen-Haus“ mit seinem rohen, kubischen Sichtbeton von der idyllischen Umgebung ab. Das Gebäude mit Baujahr 1957 widerspiegelt konsequent den Geist des Neuen Bauens und besticht auch heute noch mit seiner eindrücklichen Raumqualität.

Die Gemeinde Rüti ist ein beschaulicher Ort. Umgeben von ausgedehnten Wäldern bietet es herrliche Erholungs- und Wandergebiete. Auf dem Gebiet des rund 12’000 Einwohner zählenden Städtchens ist auch Geschichtsträchtiges zu entdecken. Neben dem ehemaligen Klosterviertel mit der Klosterkirche aus dem 13.-17. Jahrhundert zeugen wunderschön erhaltene Fabrikantenvillen aus dem 19. Jahrhundert von der prosperierenden Vergangenheit Rütis als früher Industriestandort. Architektur- und Designbegeisterten ist auch der Name Embru bekannt; ein Unternehmen, das seit 1904 in Rüti/ZH als Eisen- und Metallbettenfabrik Rueti AG“ tätig ist. Seit den 1930er Jahren entstanden bei Embru in Zusammenarbeit mit namhaften Architekten wie Marcel Breuer oder Werner Max Moser die ersten Freischwinger und andere Stahlrohr-Möbel der Moderne.

Ein Gebäude, das exakt diesen Geist der Moderne und des „Befreiten Wohnens“ widerspiegelt, ist oberhalb von Rüti am Waldrand zu finden. Adrian Willi hat das markante Gebäude 1957 als junger Architekt errichtet. Willi hatte bei Ernst Gisel eine Bauzeichnerlehre absolviert und sich autodidaktisch zum Architekten ausgebildet, bevor er Mitte der fünfziger Jahre sein eigenes Büro eröffnete. Nach dem „Trümmlen-Haus“ in Rüti – seinem Erstlingswerk! – und einer Lagerhalle in Dübendorf realisierte Willi mit dem „Rieter- Haus“ sein drittes und letztes Gebäude. Im Jahr 1959 kam er erst dreissigjährig bei einem Unfall ums Leben.

tragwerk_Truemmelenweg_Aussen_0526_2

„Neues Bauen“ erleben

Der Bau mit Flachdach und Dachterrasse betont elementare Formen und authentische Materialien. Jede Form ist auf ihre reduzierteste Aussage zurückgeführt und jedes verwendete Material in seiner natürlichsten, unbehandelsten Struktur belassen. In der Anwendung moderner architektonischer Prinzipien – Dachgarten, sichtbare Pfeiler im Erdgeschoss, freier Grundriss und offene Hauptfassade – sowie an den verwendeten Materialien lässt sich im sogenannten „Trümmlen-Haus“ deutlich der Einfluss Le Corbusiers und anderer Architekten des Neuen Bauens ablesen. In diesem aussergewöhnlichen Gebäude von Architekt Adrian Willi wohnt Anja Schulthess, Innenarchitektin VSI.ASAI (Vereinigung Schweizer Innenarchitekten) mit ihrer Familie.

Kraftvoll und markant steht das kompakt wirkende Gebäude auf einer Parzelle mit 11’200 m2 Fläche an einem bewaldeten Hang, umgeben von wucherndem Grün. Über einem Untergeschoss erheben sich drei Stockwerke, wobei sich im Erdgeschoss sowie auf dem Dachgeschoss über mehr als die Hälfte des Grundrisses Terrassen ausbreiten. Licht, Luft und Sonne – das Programm der Architektur des Neuen Bauens ist beim „Trümmlen-Haus“ allgegenwärtig. Aus der Situation heraus ergab sich eine turmartige Konzeption, bei der alle Räume gegen Süden orientiert sind und über einen freien Blick ins Tal verfügen. Das Gebäude besticht durch seine Einfachheit und seine präzise Detaillierung, finden Anja Schulthess und ihr Mann, welcher vor rüber 15 Jahren auf den aussergewöhnlichen, damals noch renovationsbedürftigen Bau aufmerksam geworden ist.

Das Grundstück wird seitlich von einer kleinen Zufahrtstrasse her erschlossen. Über einen Gehweg ist das Haus zu erreichen, bzw. die vom 1. Obergeschoss überdachte Gartenterrasse. Im Erdgeschoss liegen Eingangshalle, die Küche und ein kleiner Essbereich; mittels grosser Fensterfronten gehen die Räume auf die Aussenterrasse und in den Garten über. Um einen Raumblock mit Toilette führt die Treppe nach oben zum 1. Obergeschoss. Hier breitet sich der Wohnbereich auf dem ganzen Geschoss auf über 70 m2 aus. Mittels einer Galerie – rund die Hälfte des Wohnbereichs ist zweigeschossig – öffnet sich der Raum zum Garten hin auf zwei Stockwerken und flutet den Wohnbereich mit Tageslicht.

Der doppelgeschossige Wohnraum bildet das Herz des Hauses. Mit der grossen Verglasung gegen Süden wähnt man sich mitten in der Natur und erblickt nahezu täglich Rehe und andere Tiere des Waldes. Vor der Fensterfront laden Polstermöbel zum Entspannen ein, während der lange Esstisch im niedrigeren Bereich angesiedelt ist. An der geschlossenen hangseitigen Wand dient ein Regal als Stauraum, ein niedriges Sideboard als zusätzliche Ablagefläche. Wenige, jedoch ausgesuchte und stimmig platzierte Möbel unterstützen die Qualität der Räume.

tragwerk-Truemmelenweg_Rueti1378_neu

Offene Räume

Das zentral angeordnete Cheminee, als fester Kern des Gebäudes, zieht sich sichtbar vom Wohngeschoss zur Galerie hoch bis zum Schlafbereich im Dachgeschoss. Um den Kern herum führt die Treppe nach oben, wo auf der Galerie von der Innenarchitektin Anja Schulthess neu ein Kinderzimmer eingebaut wurde. Die Raumgliederung im Galeriegeschoss ist in Anlehnung an bestehende Unterteilungen mit doppelseitig nutzbaren Einbauten konzipiert worden. Diese zonieren die Galerie neu in ein Kinderzimmer, eine Ankleide sowie einen Arbeitsbereich mit Bibliothek. Eine raumhohe, grosse Schiebetüre ermöglicht dabei ein offenes Raumgefüge, die bei Bedarf geschlossen werden kann. Ausserdem ergänzt ein Lowboard unterhalb des bestehenden Waschbeckens die Einbauten der Ankleide. Alle innenräumlichen Eingriffe wurden behutsam vorgenommen, immer mit dem Ziel, die Originalsubstanz zu erhalten. Vom hellen Arbeits- und Bibliotheksbereich fällt der Blick in den Wohnraum hinunter und hinaus in den Garten. „Der fliessende und offene Grundriss über mehrere Geschosse schafft unterschiedliche Raumqualitäten, welche viele Bezüge zur umliegenden Natur haben“, umschreibt die Innenarchitektin das Raumgefüge.

Von der Galerie aus führt die Treppe weiter nach oben zum Dachgeschoss, wo sich das Elternschlafzimmer sowie ein Badbereich befinden. Neu eingebaute Kleiderschränke und Ablagen komplettieren den Innenausbau für die dreiköpfige Familie. Vom Schlafzimmer aus hat man Zugang zur Dachterrasse: Von hier lässt sich die grüne Umgebung, Rüti und die weite Landschaft überblicken.

Die Räumlichkeiten auf den verschiedenen Stockwerken, auch die Eingangshalle und die Dachterrasse, erhalten ihre Spannung durch den Gegensatz von geschlossener Atmosphäre im Kernblock zur Offenheit der verglasten Südfront. Oder wie es Anja Schulthess umschreibt: „Das Haus ist eine bewohnbare Skulptur und lässt viel Raum für uns Bewohner“.

tragwerk-Truemmelenweg_Terrasse

Ungeahnte Wohnqualität

Das Gebäude ist als massiver Eisenbetonbau konstruiert worden. Wenige, jedoch gekonnt platzierte Maueröffnungen und Einschnitte gliedern den rohen Betonkubus. „Speziell gut gefallen mir die Positionierungen der Fenster in den Ecken der Räume, welche ein schönes Streiflicht auf die Wände zaubern. Wenn abends die Lichter im Innenraum angehen, wird der graue Monolith zur Laterne“, schwärmt Anja Schulthess. Durch den Sichtbeton und die karge Aussenform überraschen die Innenräume durch Ihre Wärme und spannenden Lichteinfälle. Innen besticht der hohe, offene Wohnraum mit seiner winkelförmigen Galerie und einem aussergewöhnlichen Raumerlebnis. Anja Schulthess hat das schützenswerte Gebäude sensibel saniert und subtil eingerichtet. Neben Klassikern finden sich auf den 192 m2 Wohnfläche auch zeitgemässe Entwürfe, ausgesuchte Kunst und stilvolle Accessoires. Das räumliche Konzept von Architekt Willi wird dadurch unterstützt; die Einrichtung lässt Raum zum Atmen und die reduzierte Architektur wirken. Sämtliche Wände und Decken sind weiss gestrichen und kontrastieren schön mit den originalen Bodenplatten aus naturfarbenem Terracotta. Die neuen Einbauten aus Holz, die Treppenstufen und Handläufe aus gebeizter Eiche stehen farblich dem Tonplattenbelag nahe. Der Kern aus Cheminee und Installationsschacht besteht aus Sichtbeton, anthrazitfarben lasiert.

Das 64-jährige Haus strahlt eine markante Klarheit aus und überzeugt auch heute noch durch seine Offenheit und Wohnqualität. Aus Altersgründen war eine umfassende Sanierungen der Heizung, des Bads und der Treppen nötig. Aus energetischer Sicht hatte sich auch die Sanierung der Fenster aufgedrängt. Hier wurden die Eichenrahmen aufwändig saniert und die einfache Doppelverglasung, welche nur eingekittet war, durch neue Isoliergläser ersetzt. Optisch haben die neuen Fenster nichts von ihrer Originalqualität verloren: jedes Fenster ist eine Massanfertigung in Eichenholz mit den schönen alten Originalbeschlägen.

Dank der behutsamen Sanierung durch Anja Schulthess und der Belebung durch ihre Familie bleibt das „Trümmlen-Haus“ als Zeitzeuge erhalten. Konzeption, Materialisierung und die aussergewöhnliche Qualität der Räume können so manchem Architekten auch heute noch Vorbild sein.

tragwerk- Grundrisse

Text: Gerald Brandstätter

Fotos: Simone Vogel

 

BAUTAFEL

Architektur: Adrian Willi

Fertigstellung: 1957

Grundstückfläche: 11’200 m2

Wohnfläche: 192 m2

Bauweise: massiver Eisenbetonbau

 

Umbau/ Sanierung: Forroom Interiors Anja Schulthess, www.forroom.ch