Logistik-Bauten: Effizient – und dennoch repräsentativ
Der internationale Warenverkehr benötigt Lager- und Umschlagshallen. Dass Logistik-Immobilien nicht einfallslose Kuben aus Wellblech sein müssen zeigt das Distributionscenter der Victorinox AG in Seewen.
Die globale Logistik darf als die Lebensader der Weltwirtschaft bezeichnet werden. Die Güterströme, welche aufgrund des internationalen Handels zu bewältigen sind, weisen enorme Wachstumsraten auf. Entsprechend hohe Anforderungen stellen sie an die Kapazität und die Effizienz der Anlagen und Einrichtungen auf dem Weg vom Hersteller zum Verbraucher. Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass sich der Markt für Logistikimmobilien in einem anhaltenden Boom befindet und weiterhin ein deutliches Wachstum verzeichnet.
Eine typische Logistikhalle dient sowohl der Lagerung von Waren und Gütern als auch des Umschlags und der Verteilung. Verglichen mit einer klassischen Lager- oder Produktionshalle verfügt eine Logistikhalle über deutlich grössere Dimensionen. Die Bodenfläche soll maximal genutzt werden können, weshalb Logistikhallen auch in der Höhe nach Effizienz streben. Maximal mögliche Höhen und Tiefen der Halle und eine Vielzahl von Rampentoren beziehungsweise Überladebrücken sind charakteristisch für Logistikhallen, die folglich meist über ein Flachdach verfügen.
Von einer Logistikhalle spricht man ungefähr ab einer Grösse von 5.000 m². Der Trend geht beim Bau solcher Hallen jedoch zu XXL-Hallen für grösstmögliche Lagerkapazitäten. Gerade der Boom des weltweiten, grenzüberschreitenden Online-Handels hat die Nachfrage und den Bau von Lager- und Logistikzentren weiter beschleunigt. Aufgrund der sich schnell veränderten Märkte und Warenmengen werden die Distributionssysteme reorganisiert: Neue Standorte gewinnen an Bedeutung, traditionelle Niederlassungen verlieren an Stellenwert, mehrere Standorte werden aus Kostengründen zusammengefasst und in einem Zentrallager gebündelt.
Vernachlässigte Corporate Architecture
Neben Lagerhallen mit ihrer begrenzten Anzahl von Toren sowie Umschlaghallen (mit vielen Toren, jedoch geringer Höhe und auch nur einer begrenzten Hallentiefe) gewinnen sogenannte Distributionshallen stark an Bedeutung: Diese dienen der Warenverteilung und verbinden damit die Funktion der Lagerung mit der zusätzlichen Funktion der Kommissionierung. Neben einer grossen Hallenhöhe für das Hochregallager ist hier auch die Hallentiefe wesentlich grösser dimensioniert und die Anzahl der Tore meist um ein vielfaches höher als bei einer traditionellen Lagerhalle.
Bei der Realisierung solcher Neubauten werden zunehmend ökologische Aspekte sowie eine nachhaltige Bauweise berücksichtigt. Jedoch wird zu selten die Möglichkeit genutzt, derart – schon durch ihre meist enormen Dimensionen – imposante Bauten auch als
Visitenkarte des Unternehmens zu nutzen: Corporate Architecture ist bei Lager- und Logistikbauten immer noch zu oft ein Fremdwort. Wie bei Gewerbe- und Wohnimmobilien schlägt sich auch bei Logistikbauten deren architektonische Qualität und optische Attraktivität auf die Vermietbarkeit und Verkäuflichkeit nieder.
Ein aktuelles Beispiel, wie die Architektur eines Distributionscenters auch repräsentativ sein kann, zeigt die Victorinox AG.
Zusammenlegung von sechs Lagern
Ursprünglich bekannt durch das originale Schweizer Taschenmesser, produziert und vertreibt die Marke Victorinox aus der Innerschweiz heute ebenso erfolgreich Uhren, Reisegepäck und Parfum wie auch Haushalts- und Berufsmesser. Zuletzt betrieb Victorinox in der Schweiz und in Europa 17 verschiedene Lagerstandorte. Um die Lagerung und Distribution dieser Waren zu optimieren, baute das Unternehmen in Seewen ein neues und gut vernetztes Distributionscenter. Durch dieses neue Europäische Distributionscenter am Gründungsstandort Seewen konnten nun ganze sechs regionale Aussenlager zusammengelegt werden. Zusätzlich verringert ein eigener Gleisanschluss der SBB den bisherigen Werksverkehr.
Repräsentative Gebäudefront
Der gerahmte Eingangsbereich – rot wie das typische Taschenmesser – zieht den Blick zusätzlich durch eine aussergewöhnlich geschnittene Glasfassade auf sich. Die Pfosten-Riegel-Fassade ist durchgängig fast 16 Meter hoch, in der Breite dehnt sie sich zu einer Seite hin von unten nach oben aus. Dadurch entsteht ein spitzer Winkel, der die Gebäudefront dynamisch und optisch attraktiv macht, diese auch staffelt und so das Volumen auflöst. Die eigentliche, kubische Halle des Distributionscenters wird durch den strassenseitigen Eingangsbereich aufgewertet. Die riesigen Höhen und Breiten wurden eingangsseitig entschärft. Statt einer platten abweisenden Fläche ist eine einladende und sogar repräsentative Front entstanden. Dahinter erstreckt sich ein Volumen von 173‘000 m3 , das ein vollautomatisiertes Kleinteilelager mit vier Gassen, 29 Ebenen pro Gasse und 116 Shuttles mit 37.500 Stellplätzen beherbergt, sowie ein halbautomatisiertes Hochregal mit 9500 Palettenplätzen: ein Paradebeispiel für die technische Digitalisierung. Dennoch sind auch 30 bis 35 Mitarbeitende im Gebäude beschäftigt. Die hohe Investition von rund 50 Mio. CHF im Talkessel von Seewen ist ein klares Bekenntnis zum Standort Schwyz. Für den Schweizer Standort spricht auch die Tatsache, dass mit den Taschenmessern, Haushalts- und Berufsmessern, den Uhren und dem Parfum vier der fünf Produktkategorien in der Schweiz hergestellt werden.
Unkonventioneller Schnitt
Der rot gerahmte Eingangsbereich zieht den Blick durch eine aussergewöhnlich geschnittene Glasfassade auf sich. Die Pfosten-Riegel-Fassade ist durchgängig 15,80 Meter hoch, in der Breite dehnt sie sich zu einer Seite hin von unten nach oben aus – von 9,20 Metern auf eine Gesamtbreite von 11,50 Metern. Dadurch entsteht ein spitzer Winkel im oberen linken Abschluss. Die statisch tragenden Pfostenprofile spannen sich vom Boden über die gesamte Höhe ununterbrochen bis zur Decke. Lediglich bei einem Zwischenboden sind sie mit örtlichen Konsolen auf den horizontal verlaufenden Beton abgestützt. Um die notwendigen statischen Widerstände der 60 Millimeter breiten Pfostenprofile zu erreichen, wurde ein objektspezifisches Kastenprofil entwickelt: Aus seitlichen Stahlblechen von acht Millimetern sowie front- und rückseitigen Stahlblechen von 15 Millimetern wurden mittels Laserschweissung Kastenprofile von 200 x 60 Millimetern gebaut. Diese kamen aufgrund der gewünschten scharfen Profilkanten auch bei den Riegelprofilen zur Anwendung. Eine weitere Herausforderung bildeten die schrägen Profilfügungen zwischen Pfosten und Riegeln.
Als Verglasungs-Aufsatzsystem kam Jansen VISS TV zur Anwendung. Das voll isolierte Sprossensystem erlaubt dank modular aufgebauter Komponenten jegliche Fassadenkonstruktion. Mithilfe von Schwerlast-T-Verbinder gelingt eine raffinierte Komplettlösung für grosse Spannweiten und hohe Füllelementgewichte. Die Verankerung der Pfostenprofile erfolgte in diesem Fall unten mit Fussplatten auf den Betonboden und oben, dilatierend mit Kopfplatten, an die Betondecke. Seitlich bilden thermisch getrennte und ausisolierte Blechkoffer den Anschluss an die Betonwände. Insbesondere auf der Innenseite sind die über 15 Meter Höhe schräg verlaufenden Bleche exakt zwischen Pfostenprofil und Betonmauer eingepasst.
Fotos: Victorinox AG