Tropenturm: CapitaSpring-Hochhaus in Singapur

Singapur gilt als Zukunftslabor Asiens. Die 6-Millionen Metropole entstand in nur wenigen Jahrzehnten auf einer Insel, die vorher aus undurchdringlichem Regenwald bestand. Zur umfassenden Zukunftsvision gehört heute unter anderem, das Grün zurück in die Stadt zu holen. Einen wichtigen Beitrag leistet hier auch das neue Hochhaus CapitaSpring. Das zweithöchste Gebäude der Stadt nach dem Entwurf von CRA Carlo Ratti Associates und BIG besitzt eine spektakuläre, von Pflanzen "durchdrungene" Aluminium-Fassade.

Beinahe jeden Tag steigt das Thermometer in Singapur auf über 30 Grad. Um die Innentemperaturen in dem von Büroarbeit geprägten Stadtstaat auf einem erträglichen Niveau zu halten, sind normalerweise Klimaanlagen notwendig, die kostbare Energie verbrauchen. Doch der kleine Staat will nicht nur grün, sondern auch ökologisch sein. Tatsächlich werden in kaum einem anderen Land des Kontinents so viele Anstrengungen zum Schutz der Umwelt unternommen. Schon jetzt ist Singapur die grünste Stadt Asiens und eine der grünsten Städte der Welt. Der «Singapore Green Plan 2030» soll dies noch verstärken. Seit 2005 sorgt beispielsweise das «Green Mark Scheme» dafür, dass jeder Neubau ein Nachhaltigkeitssiegel erhält. Nach diesem Schema muss unter anderem jeder vernichtete Quadratmeter Grünfläche als Garten auf dem Gebäude ersetzt werden. Der Erhalt des Siegels wird schliesslich mit Zuschüssen oder Steuervorteilen belohnt. Teil des «Singapore Green Plan 2030» ist es auch, die natürlichen Ressourcen des Landes zu erhalten und den Einsatz grüner Technologien zu fördern. Ebenfalls soll die lokale Selbstversorgung gefördert werden: 30 Prozent des Nahrungsmittelbedarfs sollen bis 2030 lokal produziert werden.

Capitaspring_Finbarr_Fallon_09

Ökologische Notwendigkeit

Ein möglichst hoher Anteil an lebendigem Grün stellt bei einem Neubau in Singapur demnach keine Frage der Dekoration, sondern eine zwingende Notwendigkeit dar. Mit dem Grün lassen sich Probleme wie Überhitzung und schlechte Luft lösen. Mit dem CapitaSpring-Gebäude stellen die Architekturbüros Bjarke Ingels Group (BIG) aus Kopenhagen und Carlo Ratti Associati (CRA) aus Turin einen 280 Meter hohen Wolkenkratzer vor, der den Menschen einen «nahtlosen Übergang zwischen dem Garten und der Stadt» bieten will.

Der 93’000 Quadratmeter umfassende Wolkenkratzer, der zusammen mit einigen anderen Bauten derzeit das zweithöchste Gebäude des Landes ist, wurde in Auftrag gegeben von den Immobiliengesellschaften CapitaLand Development, CapitaLand Integrated Commercial Trust und Mitsubishi Estate. Das 51-stöckige Hochhaus liegt im Herzen des Finanzdistrikts von Singapur und umfasst eine Mischnutzung aus Büros, Restaurants und Wohnungen. Im Erdgeschoss wurden ein linearer Park und ein öffentlicher Platz angelegt. So sollte der umliegende, dicht besiedelte Distrikt um ein öffentlichen grünen Raum bereichert werden. Dieser Park umfasst verschlungene Gartenwege, die zu einem 18 Meter hohen Raum am Fusse des Turms führen, dem sogenannten City Room, und zum Hawker Center im breiten Sockelbau mit seinen Einkaufs- und Gastronomieflächen. Dieser Bereich bietet ausserdem die verschiedenen Eingänge für die Mieter und Gäste des Gebäudes sowie Schutz vor dem tropischen Wetter.

Capitaspring_Finbarr_Fallon_117

Vertikaler Regenwald

Im untersten Teil des Gebäudes beginnt die aufwendige Bepflanzung des Turms. Gemäss der natürlichen Pflanzenhierarchie eines Regenwalds verteilen sich die Pflanzen über den mittleren bis hin zum höchsten Bereich des Gebäudes in mehreren Gärten. Im Sockelbereich kommen fassadenseitig offene Logen mit einzelnen Bäumen und niedrigen Pflanzen hinzu.

Diese vertikalen Gärten dominieren auch die Architektur des Baus. Besonders spektakulär in der unteren Hälfte des Turms, wo sich eine offene Zone befindet, die sich über vier Stockwerke zieht und Platz bietet für zahlreiche Bäume, Sträucher und viele weitere Pflanzen. Ein einladender Ort für die Freizeitgestaltung und Veranstaltungen sowie mit einer spiralförmigen Promenade sogar für Spaziergänge. Zuoberst liegt ein Nutzgarten, der das hauseigene Dach-Restaurant mit 150 verschiedenen Früchte-, Gemüse-, Kräuter- und Blumensorten versorgt.

Die grünen Areale des CapitaSpring kompensieren mit ihren rund 80’000 Pflanzen nach Angaben der Planer 140 Prozent der Grundfläche. Ein Grund für die Anerkennung des Gebäudes mit einer der höchsten Auszeichnungen im Bereich Nachhaltigkeit in Singapur (dem Green Mark Platinum Award der Building and Construction Authority, BCA). Die innovative Fassadengestaltung trägt massgeblich dazu bei, dass sich die grüne Landschaft in die vertikale Dimension ausdehnt.

Capitaspring_Finbarr_Fallon_72
Capitaspring_Finbarr_Fallon_79

Pflanzendominierte Fassade

Passend zum Finanzdistrikt ist die repräsentative Fassade des Gebäudes an die Optik von klassischen Nadelstreifen angelehnt. Dies entsteht durch ein dynamisches Zusammenspiel von orthogonalen Aluminium-Rippen, die im Sockelbereich und den obersten Stockwerken zusätzlich jalousienartig mit horizontalen Aluminium Lamellen gefüllt sind. Auch die Pfosten und Riegel der übrigen Fassade bestehen aus stranggepresstem Aluminium kombiniert mit DGU-Verbundsicherheitsglas. Dabei ist die Tiefe der vertikalen Elemente so kalibriert, dass ein Gleichgewicht zwischen der Minimierung der Sonneneinstrahlung und der Maximierung der offenen Aussicht besteht. Die grösste Herausforderung bestand nun darin, die eigentlich innenliegenden vertikalen Gärten und Logen mit ausreichend Licht und Luft zu versorgen. Die Lösung, die sich deutlich in der Fassadengestaltung bemerkbar macht:

Über sämtliche Gartenstockwerke öffnet sich die ansonsten regelmässige Lisenenstruktur der Fassade und gibt den Blick und den Weg des Lichts frei auf die «Green Oasis». Die Fassade wirkt dabei rundum wie ein auseinandergezogenes Gewebe – durchdrungen von der Kraft der Pflanzen, die ans Licht streben. Hier ist die Fassade mit GFK- und Betonfertigteilen verkleidet.

Capitaspring_Finbarr_Fallon_29
Capitaspring_Finbarr_Fallon_112

Die Architekten von BIG geben an, sich nach zahlreichen Detailstudien auf eine Materialpalette geeinigt zu haben, «die einen spürbaren Kontrast zwischen klar und geometrisch und fliessend und organisch ermöglicht, so wie auch das Gebäude selbst ein Spiel zwischen strengem Modernismus und üppigem Tropentum ist». Alle wichtigen Fassadenelemente wurden für das Projekt massgeschneidert angefertigt. Von Anfang an arbeiteten die Planer hier mit dem Fassadenteam von ARUP zusammen und während der Bauphase mit dem Hauptauftragnehmer Dragages Singapore und dem beauftragten Fassadensubunternehmer YKK. Während der gesamten Zeit gab es eine sehr professionelle und enge Zusammenarbeit, «mit zahlreichen und iterativen Mock-ups, um Fassadenmaterialien, Details und Beleuchtung zu verschiedenen Tageszeiten und bei unterschiedlichen Wetterbedingungen ganzheitlich zu betrachten».

Angesichts wachsender weltweiter Metropolen und steigender Temperaturen kann der Vorschlag von BIG und CRA als wichtiger Beitrag zur Bewältigung der damit einhergehenden Probleme gesehen werden.

Capitaspring_Finbarr_Fallon_38

Bautafel

Architekten: CRA-Carlo Ratti Associati und BIG-Bjarke Ingels Group

Bauherrschaft: CapitaLand Development, CapitaLand Integrated Commercial Trust und Mitsubishi Estate

Fassadenbau: ARUP Singapore Pte Ltd., Dragages Singapore Pte Ltd, YKK AP Façade PTE LTD

Kollaborateure: RSP Architects Planners & Engineers (Pte) Ltd, ARUP Singapore Pte Ltd , Beca Carter Hollings & Ferner (S.E.Asia) Pte Ltd, Arcadis Singapore Pte Ltd, COEN Design International Pte Ltd, Takenouchi Webb Pte Ltd, Nipek Pte Ltd, Asylum Creative Ptd Ltd, Jacobs International Consultants Pte Ltd, Ignesis Consultants Pte Ltd, PH Consulting Pte Ltd, TSM Consultancy Pte Ltd, Dragages Singapore Pte Ltd, Meinhardt Singapore Pte Ltd, Squire Mech Pte Ltd.

Fotos: Finbarr Fallon