Ungleiche Zwillinge: Zwei Bürogebäude für Daimler in Stuttgart

Modulares Entwerfen und Bauen heisst das Zauberwort, um auch grosse Bauvorhaben rationell und wirtschaftlich umzusetzen. Das Konzept der Architekten Ortner & Ortner Baukunst für einen Verwaltungskomplex gefiel dem Daimler-Konzern so gut, dass die Planer es an einen zweiten Standort adaptiert gleich noch einmal realisieren konnten. Zusammen ergab sich ein Bauvolumen, dass die Entwicklung einer projektspezifischen vorgefertigten Elementfassade rechtfertigte.

Im Automobilbau stellt Serienproduktion den Standard dar; die Herausforderung besteht darin, auf ökonomische Weise Individualisierung zu ermöglichen. Im Bauwesen ist es nach wie vor umgekehrt: Individuelle Entwürfe und handwerkliche Herstellung sind die Regel, allerdings gewinnt der Bau mit vorfabrizierten Elementen gerade bei Industrie- und Gewerbearchitektur immer mehr an Bedeutung. Ausgerechnet bei einem Auftrag durch den Automobil-Konzern Daimler fanden die Architekten von Ortner & Ortner Baukunst, Berlin, einen interessanten Weg, durch modulare Entwurfsprinzipien zu einem ökonomisch wie architektonisch überzeugenden Ergebnis zu gelangen, das insbesondere bei der Fassade auch die Vorteile einer seriellen Vorfertigung der Bauteile nutzt.

Eingangshof Daimler Truck AG
Ansicht Ost mit Blick auf das Betriebsrestaurant

Ein Beispiel für modulares Denken

Zunächst umfasste der Auftrag an die Architekten den Entwurf eines Büroareals für die Daimler AG in Stuttgart-Vaihingen mit Platz für 4200 Arbeitsplätze. Das Gewinnerkonzept im Architekturwettbewerb überzeugte die Bauherren so sehr, dass auf der Basis des gleichen Modulbaukastens ein weiterer Auftrag erfolgte, nämlich für die neue Konzernzentrale der Daimler Truck AG in Leinfelden bei Stuttgart. Dort finden weitere 2200 Mitarbeiter ihren Arbeitsplatz. Trotz der unterschiedlichen Anforderungen der Standorte in Vaihingen und Leinfelden-Echterdingen haben die beiden Projekte vieles gemeinsam. Die Büros sind jeweils auf einem Erdgeschosssockel errichtet, in dem sich alle gemeinschaftlichen und öffentlichen Nutzungen befinden: Foyer und Ausstellungshallen, Food Courts, Cafés und Betriebsrestaurants, Konferenz- und Tagungsbereiche, Gesundheits- und Werkarztzentren, ein Fahrradparkhaus sowie ein Kindergarten. Dieser Sockel geht auf den städtebaulichen Kontext ein und bildet eine Übergangszone zwischen öffentlichem Raum und Unternehmen.

Über diesem stadtraumbildenden Sockel werden die H-förmigen, modulhaften Bürogeschosse aufgesetzt. Grosse Fensterelemente schaffen lichtdurchflutete bis zu 800 Quadratmeter grosse Bürohallen, ungestört von jeglichen Einbauten oder Unterteilungen. Unterschiedliche Arbeitswelten lassen sich flexibel anpassbar einrichten. In den mehrgeschossigen Erschliessungshallen, die jeweils zwischen den Bürohallen angeordnet sind, zeigt sich die Konstruktion innen als brückenartiges Stahlskelett, in dem die Aufzüge und Stahltreppen frei positioniert sind und das die Eingangshalle stützenfrei überspannt. Angefangen bei der sichtbaren Installation der Haustechnik werden die Materialien unbekleidet belassen. Das Gebäude changiert zwischen den rohen metallischen Einbauten, dem sichtbaren Beton der Wand und Deckenflächen, den Estrichböden sowie den weiss lackierten Stahlkonstruktionen in Grau- und Weisstönen. Akustisch wirksame Holzverkleidungen aus Eiche vervollständigen den Materialkanon. Mit 4-Leiter-Systemen für Flächenheizung und -Kühlung sowie Photovoltaik-Anlagen auf den Flachdächern ist die haustechnische Ausstattung auch hinsichtlich der Nachhaltigkeit auf der Höhe der Zeit.

Daimler Truck Campus, Blick vom Fasanenweg

Differenziert durch den Kontext

Die beiden Standorte unterscheiden sich voneinander vor allem durch ihre Grösse, die räumliche Organisation der Module sowie die Gestaltung der Sockelgeschosse. Beim Truck Campus gruppieren sich die Büroblöcke um eine zentrale Halle. Dieser 1.500 Quadratmeter grosse, bis zu acht Meter hohe Raum mit seinem charakteristischen Stahltragwerk vereint in der Tradition einer grossen industriellen Werkhalle die gemeinschaftlichen Funktionen des Standorts. Der Sockel öffnet sich mit vier Höfen in alle Himmelsrichtungen. Das knapp doppelt so grosse Daimler Office V in einem Industriegebiet des Stuttgarter Stadtteils Vaihingen ist wiederum kompakt organisiert, «wie ein Motorblock» – so formuliert es der Architekt und verantwortliche Partner bei O&O Baukunst, Roland Duda. Zur Umgebung zeigt sich der Komplex als aufgefächerter Büropark aus vier separaten Häusern, im Inneren ist er ein dichter öffentlicher Ort.

Raumgreifendes Raster
Stahltragwerk Erschlieflungshalle

Fassadenelemente im strengen Raster

Während die Baukörper zwar modular konzipiert und entworfen, aber als konventionelle Stahlbetonkonstruktionen realisiert wurden, ist der Modulgedanke bei der Gebäudehülle konsequent zu Ende gedacht. Die Konstruktion der Häuser spiegelt sich in der vollständig vorgefertigten Fassade als alles umfassendes, raumgreifendes weisses Raster wider. Ihr klares, zeitloses Erscheinungsbild passt perfekt zum wertigen Image, das sich Daimler als Produktmarke und Arbeitgeber aufgebaut hat. Aus der ursprünglich aus einzelnen Fensterelementen und Aluminiumverkleidungen geplanten Fassade wurde auf Anregung des Lieferanten Metallbau Dobler innerhalb des Vergabeprozesses eine thermisch getrennte Systemfassade aus Aluminium-Glas-Elementen entwickelt.

Die grosszügige Wirkung des Fassadenrasters mit seinem horizontalen Achsmass von 5,40 m entsteht durch die aus zwei jeweils 2 x 3 m (BxH) grossen Scheiben zusammengesetzte Festverglasung, die auf jeder Seite von manuell betätigten Lüftungsklappen eingefasst wird. Der Mittelsteg zeigt nach aussen lediglich eine 12 mm breite Vorderkante und bleibt so äusserst unauffällig. Die Elemente selbst bestehen aus scharfkantig extrudierten Aluminiumprofilen und wurden für einfacheres Handling hälftig auf die Baustelle geliefert. Die gesamte Konstruktion wird durch entsprechende Kanäle innenliegend entwässert, um die Fassade vor Verschmutzung zu bewahren – ein wichtiger Aspekt angesichts der Oberflächengestaltung: Die Metallteile der Regelgeschosse sind in «Signalweiss» (RAL 9003) matt hoch wetterfest pulverbeschichtet.

Die Fassadenelemente der Sockelgeschosse setzen sich durch roh belassene Metalloberflächen ab. Auch hier ist die Gebäudehülle als thermisch getrennte Systemfassade aus Aluminium mit Sonnenschutz-Glasfüllung (Festverglasung) ausgeführt. Allerdings ergibt sich durch die unterschiedlichen Nutzungen hier eine grössere Vielfalt der Funktionselemente: Von Aluminium-Dämmpaneelfüllungen, teilweise mit Lüftungsklappen und Fensterelementen, über Füllungen aus Wetterschutzgitter bis zu thermisch nicht getrennten Lochblechelementen im Bereich der Fahrradstation.

Arkaden vor dem Restaurant
Zentrale Halle

Sonnenschutz

Der hohe Glasanteil der Fassade macht Sonnenschutzvorrichtungen zur Reduktion des Licht- und Wärmeeintrags notwendig. Dies realisierten die Planer durch einen aussenliegenden, automatisch gesteuerten Sonnenschutz in Form von Aluminium-Horizontaljalousien. Hinzu kommen innenliegende, manuell betätigte textile Rollos als Blendschutz. In der Planung gingen die Architekten von einem U-Wert der Verglasung von 0,7 W/m²K aus. Nach einer Bemusterung verschiedener Qualitäten der Dreifachverglasung liessen sich jedoch sogar 0,6 W/m²K realisieren, damit ergab sich als Gesamtwert Ucw = 0,98 W/m²K. Der Energiedurchlass der Verglasung liegt bei 0,24 gegenüber ursprünglich geplanten 0,32.

Insgesamt wurden in beiden Projekten zusammen mehr als 2000 der vorgefertigten Fassadenelemente verbaut: Ein Auftrag von ungewöhnlichem Volumen, der einerseits an Kapazität und Logistik des Produzenten hohe Ansprüche stellte. Andererseits kommen bei solchen Losgrössen die Skaleneffekte des modularen Entwurfs und der seriellen Vorfertigung der Elemente auch voll zum Tragen – mit Vorteilen für die Wirtschaftlichkeit wie für die Qualität im Resultat.

Betriebsrestaurant

BAUTAFEL

Daimler Office V, Stuttgart-Vaihingen

Bauherr: Daimler Real Estate GmbH

Architekt: O&O Baukunst

Partner: Roland Duda

Generalplanung: O&O Baukunst, Berlin mit Höhler und Partner, Aachen

Tragwerksplanung: RSP Remmel+Sattler Ingenieurgesellschaft mbH, Frankfurt a.M.

Bauphysik, Akustik: Drees&Sommer DSABT, Stuttgart

Haustechnik: IBB Burrer & Deuring Ingenieurbüro GmbH, Ludwigsburg

Brandschutz: hhp Ingenieure für Brandschutz GmbH, Berlin

Fassadenplanung: Ingenieurbüro Franke GmbH & Co. KG, Glienicke

 

Dieser Fachartikel ist im Fachmagazin FASSADE erschienen.