Markante architektonische Oase

Wer es sich leisten kann, baut ebenerdig. Neben Zeit ist Raum das wohl wertvollste Gut unserer Zeit. Besonders in Mitteleuropa steigen die Preise für Bauland kontinuierlich weiter an, so dass die limitierte Grundstücksfläche die meisten Bauherren und Architekten dazu zwingt, ihr Raumprogramm auf mehrere Stockwerke zu verteilen. In Österreich oder Deutschland erlebten Bungalows als eingeschossige Wohnform in den 1960er Jahren ihre grösste Blütezeit. Inspiriert wurden sie durch Vorbilder aus den USA, wo Bungalows in Holzrahmenbauweise seit jeher zu den am weitesten verbreiteten Hausformen gehören.

Die ebenerdige Bauweise eines Bungalows hat klare Vorzüge wie zum Beispiel das barrierefreie Wohnen. Zudem können Wohnräume einfach nebeneinander angeordnet werden, was Offenheit und Grosszügigkeit demonstriert. Auch die ganze Konstruktion ist einfacher, da auf die Statik tragender Wände weniger Rücksicht genommen werden muss. Meistens ist auch eine Aufstockung möglich.

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Über Eck

Ein eindrückliches Beispiel für einen Bungalow hat das slowakische Architekturbüro Compass Architekti verwirklicht. Ausserhalb der Hauptstadt Bratislava planten und errichteten sie für eine Familie in einem ruhigen Wohnquartier ein eingeschossiges Mehrgenerationen-Haus. Die Bauherrschaft – ein älteres Ehepaar – setzte für die Konzeption durch die Architekten nur drei Bedingungen voraus: das Haus sollte kompakt bleiben, es musste ohne Treppen auskommen und viel Platz für die neun Enkelkinder bieten.

Die Antwort der Architekten auf den Auftrag zeigt sich gleichermassen einfach und klug. Um die optimale Nutzung der Immobilie zu gewährleisten, platzierten die Architekten das Gebäude an den nördöstlichen Rand der rund 660 m2 grossen Bauparzelle. Um das Grundstück optimal auszukosten, wurde das Gebäude in L-Form um einen Hofgarten und einen länglichen Pool angelegt; das Gebäude formt sich so um den Garten, der gut geschützt die Erweiterung der Wohnfläche bildet.

Das ganze Raumprogramm integrierten die Architekten in ein modernistisches, eingeschossiges Gebäude, bei dem die Räume nebeneinander aufgereiht sind: Im einen Schenkel liegen die privaten Räume, im anderen die öffentlichen Bereiche wie Wohnen, Kochen und Essen. Die Grundrissanordnung ist sozusagen in einen Tagbereich und einen Nachtbereich unterteilt: Der „Tag“ ist transparent, offen und dem grünen Hofgarten zugewandt. Die „Nacht“ ist unterteilt und abgeschirmt. Der südliche Teil des Grundstücks ist zur Sonne hin geöffnet, während der nördliche Teil vom Haus eingenommen wird und eher verschlossen wirkt. Der lange geknickte Grundriss des Hauses sorgt dafür, dass kein zweites Stockwerk benötigt wird und daher auch keine Treppen.

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Die privaten Zimmer befinden sich hinter einer mit Holz verkleideten Wand. Diese schützt vor Einblicken und sorgt so trotz raumhoch verglaster Fassade für Privatsphäre. Parallel zur Wand verläuft ein Korridor. Dieser erschliesst vom Haupteingang aus das Haus entlang der privaten Zimmer bis hin zum grosse Wohnbereich. Auf der Richtung Nordosten gelegenen Rückseite des Hauses liegt ein schmaler privater Garten, der vom Hauptschlafzimmer zugänglich ist; ein ruhiger Zufluchtsort, wenn der Hofgarten allzu belebt ist.

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Prägendes Dach

Die gartenseitige Südfassade ist vollständig verglast. So wird die visuelle Verbindung zwischen dem Spielplatz und den Innenräumen bewahrt. Die Rasenfläche wird zur Arena oder Bühne für die tobende Kinderschar, wobei das ausgestreckte Haus den Garten zum Teil als Beobachtungsraum umschreibt, von dem aus die Enkelkinder beaufsichtigt werden können.

Um das Gebäude, bzw. die raumhohen Glasflächen vor dem direkten Sonnenlicht zu schützen, wurde das Flachdach weit auskragend gestaltet. Allgegenwärtig und prägend verbindet die horizontale Beton-Dachplatte die beiden Flügel des Hauses miteinander. Zudem betont sie die Horizontale und unterstreicht die Weitläufigkeit des Bungalows. Auskragend und schattenspendend schirmt das Dach im Sommer bei hochstehender Sonne den direkten Kontakt mit dem Glas ab. Seine Krümmung entspricht dem Verlauf der Sonne. Im Winter hingegen, wird die niedrig stehende Sonne zur passiven Wärmegewinnung zugelassen. Am Schnittpunkt der beiden Gebäudeflügel schafft das freitragende Dach einen geschützten Platz zum Essen und Entspannen im Freien.

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Minimalismus pur

Der Innenausbau und die Austattung zeichnen sich durch eine minimalistische, klare Material- und Formensprache aus. Das markante Sichtbetondach, der geschliffene Zementboden sowie die neutrale Farbpalette von Weiss, Grau und Schwarz bei Möbeln und Einbauten schaffen eine perfekte Bühne für das kunterbunte Familienleben der beiden Generationen. Im Gegensatz dazu bestehen die grossflächige Wandverkleidung wie auch Teile der Kücheninsel aus massiver Eiche. Dies verleiht dem Intérieur trotz vorherrschendem Glas und Beton ein edle Note. Das Wohnzimmer ist spärlich möbliert und vermittelt ein Gefühl von Grosszügigkeit, während es den Kindern genügend Platz bietet, um sich auch bei schlechtem Wetter drinnen auszuleben.

Das Familienhaus Jarovce ist ein Zuhause für zwei Erwachsene und neun Enkelkinder. Eine markante architektonische Oase, die aus der öden Durchschnittsarchitektur herausragt. Das schwungvolle Dach und der darunterliegende scharf geschnittene L-förmige Baukörper zeigen, dass auch auf 137 m2 Wohnfläche grosszügig gelebt werden kann.

Fotos: Jakub Skokan, Martin Tůma

Text: Gerald Brandstätter