Nachhaltige Transformation: UP! Bürocenter, Berlin
Was tun mit leerstehenden Kaufhaus-Klötzen in bester Lage? Diese Frage stellt sich in vielen Innenstädten. Für das ehemalige Kaufhaus am Berliner Herrman-Stöhr-Platz – erst DDR-Centrum, später Hertie, bis zur Schliessung 2017 Galeria Kaufhof – fand das Büro Jaspers Architects eine überzeugende Antwort: Sie verwandelten das Gebäude in einen modernen Ort für Arbeit und Retail.
Das Bürohaus UP! legt die Vergangenheit seiner Substanz offen und verschreibt sich mit einer transparenten Gebäudehülle der Zukunft. Dafür wurde der geschlossene Kubus erst entkernt, um dann über Subtraktionen im Volumen helle Räume für neue Aufgaben zu schaffen. Die neue Aussenhülle besteht aus vorgefertigten Fassadenelementen, ergänzt um Pfosten-Riegel-Konstruktionen in den Einschnitten.
1979 wurde das Friedrichshainer Warenhaus als damals grösstes und modernstes Haus der DDR-Kette Centrum eröffnet – mit einer damals durchaus zeitgemässen Vorhangfassade aus türkis und orange emaillierten Platten im Karoraster. Die Lage war und ist prominent: Der «Hauptbahnhof der Hauptstadt der DDR», der heutige Berliner Ostbahnhof, liegt nur wenige Schritte entfernt. Seither hat der Gebäudekoloss mit seinem Betonskelett einige Reformen erlebt. Nach der Wende hing vorerst der Hertie-Schriftzug an der Gebäudehülle, dann der des Kaufhofs. Aber die Konkurrenz des Internets und der Standort abseits des wiedervereinigten Zentrums sorgten langfristig für eine finanziell schwierige Lage des Kaufhauses, 2017 führten sie zur endgültigen Schliessung. Der prägnante Bau mit seinen 45.000 Quadratmetern Fläche brauchte ein zeitgenössisches Nutzungskonzept und eine strukturelle Konversion.
Konzeption
Nach dem Erwerb der Liegenschaft durch das österreichische Immobilienunternehmen SIGNA gewann das Büro Jasper Architects den von SIGNA ausgelobten Wettbewerb zur Umplanung des Gebäudes. Unter Einbeziehung des Bestandes haben die Gestalter das Gebäude konsequent transformiert. Das alte Warenhaus funktionierte ohne Öffnungen nach aussen als ein nach innen gerichtetes Konzept, die neue Nutzung mit dem Internet-Händler Zalando als Ankermieter forderte eine Umkehrung des Prinzips. Dabei war eine grosse Herausforderung die Tageslicht-Situation. Aus den 80 Metern Kantenlänge ergab sich eine Grundfläche von 6400 Quadratmetern und die Aufgabe, natürliches Licht bis in den Gebäudekern zu leiten. Selbst in zentralen Bereichen sollten qualitativ wertvolle Büroflächen geschaffen werden. Die Architekten suchten nach einer Alternative zu zentral positionierten Lichthöfen, die die Fläche in einen quadratischen Rundgang verwandelt hätte und entwickelte das Konzept der Voids: Keilförmig wurde an jeder Front eine Schlucht geschlagen, die sich nach oben in Terrassen weitet. Dadurch vergrössert sich die Aussenfläche der Fassade um mehr als ein Drittel. Der Innenraum strukturiert sich durch diese Maßnahme zu einem X; auf jeder Etage ergeben sich vier, um einen inneren Kern angeordnete Flächen. Als besondere Qualität entstehen entlang der Leerräume verschieden grosse Terrassen. Was dem Gebäude seitlich an Geschossfläche entzogen wurde, wird oben aufgesetzt: Der Bestand wird durch zwei zusätzliche Stockwerke und einen Dachpavillon mit angeschlossenen Freiflächen ergänzt.
«Als ein Büro, das unter anderem viel in Argentinien arbeitet, war uns die Dimension des UP! nur allzu vertraut», berichtet Architekt Martin Jasper: «Der Bestandsbau wirkte wie ein monolithisch extrudierter Stadtblock in Buenos Aires. Die basieren auf einem Rastermass von etwa 100 mal 100 Metern – und stellen die Architekten immer wieder vor die Herausforderung: Wie wird die natürliche Belichtung der Gebäude im Inneren des Blocks gestaltet?» Von den dortigen Lösungsansätzen, zum Beispiel Einschnitte in die Blöcke oder das Freilassen einzelner Areale, liess sich der Entwerfer inspirieren.
Umbau
Jasper Architects erhielt von der SIGNA als Planungsgemeinschaft mit dem lokalen Büro Gewers Pudewill den Auftrag, die Umplanung zu realisieren. Für die Modernisierung wurde die komplette Fassade abgetragen und der Block auf sein Stahlbeton-Skelett zurückgebaut. Mit Beton-Kreissägen schnitt man dann in jedem Geschoss die für das neue Volumen überflüssigen Areale heraus. Übrig blieb eine weite Fläche mit einem regelmässigen Raster aus Betonstützen, die alle zwölf Meter den Grundriss rhythmisch unterteilen, sowie vier Erschliessungskerne. Freigelegt wurde auch die Geschichte des Gebäudes. Sie hat ihre fleckigen Reminiszenzen auf dem nackten Beton hinterlassen, vergangene Installationen, ein paar Bohrungen und rostige Spuren. Der raue, industrielle Charme blieb als Qualität des Gebäudes im neuen Interieur erhalten. Um die Geschosshöhe und die prägnante Rippendecke auszunutzen, sind alle notwendigen Installationen sichtbar montiert. Weiße Akustikelemente mit integrierten Brandschutzsprinklern bilden ein schwebendes Raster. Lüftung, Kabel, Rohre und Schienen bleiben als Funktionsadern des Hauses dahinter sichtbar.
Das Erdgeschoss, das ursprünglich als Laubengang gestaltet war, liegt jetzt auf einer Ebene mit der Fassade. Frontal ist die Lobby für die darüber liegenden Büros untergebracht, für alle anderen ebenerdigen Flächen ist eine Nutzung durch Shops, Supermärkte und Cafés vorgesehen. Die Retailflächen orientieren sich öffentlich wirksam zu allen vier Seiten und beleben das Gebäude rundherum. Rückseitig wurde eine PKW-Einfahrt eingebettet, die Fahrzeuge über einen Aufzug in eine Tiefgarage mit 100 Stellplätzen transportiert. Hauptmieter der Büroflächen ist die Online-Modekette Zalando, die ihren Mietvertrag schon mit Beginn der Umbaumassnahmen abgeschlossen hatte. Für das Unternehmen ist der Standort eine ideale Ergänzung zum nahe gelegenen Zalando-Campus an der East Side Gallery.
Fassade
Neben dem modifizierten Volumen des Baukörpers selbst ist es die Fassade, die entscheidend zur Transformation beiträgt. Sie verändert nicht nur das Erscheinungsbild komplett, sondern befördert das Gebäude auch bauphysikalisch in die Gegenwart. Das Ingenieurbüro Bollinger Grohmann befasste sich neben der Statik auch mit den Leitdetails der Fassade. Bereits der Wettbewerbsentwurf ging auf die Frage des Wärmeschutzes ein, und zwar mit dem Vorschlag einer Teilbedruckung der Glasflächen: Eine Idee, die allerdings in der Planungsphase wieder aufgegeben wurde, da sie eine zu grosse Einschränkung der Durchsicht für alle Arbeitsplätze bedeutet hätte. Gegen einen aussenliegenden Sonnenschutz sprachen die knappen Grundstücksgrenzen, die die Gesamttiefe der Fassade limitierten. Letztlich wird der Wärmeeintrag jetzt durch ein entsprechendes Verhältnis von transparenter Aussenfläche zu Grundfläche kontrolliert. Außerdem kommt die grosse Raumtiefe der ehemaligen Verkaufsflächen zum Tragen, um die solaren Lasten aufzufangen, die sich aus der Geschosshöhe von 5,30 m ergeben.
Die Fassade setzt sich aus zwei Modultypen zusammen, einem vollverglasten und einem geschlossenen Element. Umlaufend sind sie im Verhältnis drei zu eins verbaut. Das geschlossene Element besteht aus pulverbeschichtetem Aluminium und ist mit einem mechanischen Lüftungsflügel versehen, der im Brandfall als Entrauchungsklappe dient. Die Verglasung besitzt zum Schutz vor übermässigem Wärmeeintrag eine hoch selektive Sonnenschutzbeschichtung. Hinzu kommen innenliegende, automatisch gesteuerte Textilrollos. Unterm Strich gelang es den Ingenieuren auf diese Weise, den geforderten g-Wert von 20 % zu erreichen. Den Sonderfarbton der Fassadenelemente spezifizierten die Planer über eine Bemusterung vor Ort. So stellten sie sicher, dass der helle Grauton der Elemente mit dem leicht grünlich irisierenden Ton der beschichteten Glasflächen harmoniert.
Montage
Die hohe ästhetische und funktionale Qualität der Fassade resultiert aus dem Teamwork der involvierten Architekten, Ingenieure und Lieferanten – hier leistete der Fassadenbauer Rupert App GmbH & Co. einen wesentlichen Beitrag. Alle Aussenfassaden sind als komplett vorgefertigte und vorverglaste Elementfassaden geplant, dabei hat jedes Einzelelement das Mass von 1,50 x 5,30 m. Lediglich die Ecken, die für ein versetztes Fassadenbild in zwei von Etage zu Etage alternierenden Breiten ausgeführt sind, wurden erst auf der Baustelle verglast. Die Ingenieure arbeiteten mit dem Schüco Fassadensystem USC65, für das allerdings nicht weniger als 14 Neuprofile entwickelt wurden: «Die Statik der ungewöhnlich hohen Elemente erforderte schmale, aber tiefe Sonderprofile,» begründet dies Georg Mariner, Projektleiter bei App.
Die Verbindung zum Altbau erfolgt über spezielle Konsolen, an denen die geschosshohen Elemente montiert werden. Diese Befestigung ist in alle drei Richtungen justierbar, um die Toleranzen des Bestandsbaus ausgleichen zu können. Die Erdgeschosszone besitzt ebenfalls eine vorgefertigte, aufstehende Fassade. Nur die Fassadenflächen innerhalb der ins Volumen eingeschnittenen «Voids» sind von diesem Prinzip abweichend vor Ort, als Pfosten-Riegel-Fassade konstruiert. Sie bestehen komplett aus Glasflächen, in die zusätzlich die Zugänge zu den Terrassen integriert sind. «Hier haben wir das Fenstersystem Frame+ 75WI/DI des Herstellers Raico eingesetzt,» erklärt Mariner. Während die Elementefassade zügig vom 1. Obergeschoss aus nach oben fortschreitend montiert werden konnte, stellten die Voids mit ihren komplexen Versprüngen eine logistische Herausforderung dar – etwa wenn die Anforderungen der unterschiedlichen Gewerke an den Gerüstbau koordiniert werden mussten. Als letztes wurden die Elemente im Erdgeschoss montiert und die Gebäudehülle damit geschlossen.
Nachhaltigkeit
Beton belastet das Klima, weil bei seiner Herstellung viel CO2 freigesetzt wird. Wo möglich sollte deshalb der zementbasierte Neubau vermieden und der Bestand umgenutzt werden. Hierfür ist das UP! ein Musterbeispiel. Der Erhalt seines Beton-Tragewerks führt zu einem deutlich geringeren CO2-Footprint als bei vergleichbar dimensionierten Neubauten. Zur Nachhaltigkeit trägt auch die moderne, automatisierte Gebäudetechnik bei. Entlang der Fenster sind Unterflur-Konvektoren angeordnet, sowohl die Beleuchtung als auch der innenliegende Blendschutz werden dank einer eigenen Wetterstation abhängig von Innen- und Aussentemperatur sowie des Sonnenstandes geregelt. Per manuellem Override können die Nutzer aber in die programmierten Prozesse eingreifen. Auf dem Dach ist ein Rückkühlwerk installiert, das gemeinsam mit Wärmetauschern im Abwasserkanal zu einer eigenen Energiezentrale wird. Damit zählt das UP! zu einem der nachhaltigsten Gebäude Berlins – und will sich als solches beweisen: mit der Bewerbung um eine Zertifizierung nach LEED Gold für ökologisch nachhaltiges Bauen.
Autor: Martin Krautter
(Dieser Fachartikel ist im Fachmagazin FASSADE erschienen)
BAUTAFEL
Projektentwickler / Auftraggeber: SIGNA
Entwurf und Gestaltung: JASPER ARCHITECTS
Generalplanung und Objektplanung: Arge JASPER ARCHITECTS und Gewers Pudewill
Tragwerksplaner + Fassadeningenieur: Bollinger und Grohmann
TGA: Ingenieurgesellschaft Meinhardt Fulst
Landschaftsplanung: YEWO Landscapes
Interieur Zalando: Studio Aisslinger und JASPER ARCHITECTS
Bauphysik: Müller BBM