Spitzenforschung mit hohen Ansprüchen

In Basel entsteht ein neuer Life-Sciences-Campus. Er soll einer der weltweit wichtigsten Forschungsstandorte für die Lebenswissenschaften werden. Auch die ETH Zürich ist Teil davon mit ihrem Department Biosystems Science and Engineering (BSSE). Den erhöhten Anforderungen eines solchen Gebäudes begegneten die Planer mit unterschiedlichen Fassaden.

Bis anhin war die Uni Basel mit mehr als 80 Gebäuden im Gebiet Basel-Stadt und Basel-Landschaft verteilt. Neu sollen die insgesamt sieben Fakultäten der Uni auf fünf Campusarealen konzentriert werden. Eins davon ist das Schällemätteli-Areal beim Unispital Basel. Bis 2029 sollen auf dem Schällemätteli-Campus verschiedene Forschungsbereiche in einer modernen Infrastruktur zusammenfinden. Der Bebauungsplan setzt dabei enge Vorgaben.

11 Ebene E: Atrium

Konzept der Durchlässigkeit

Den Wettbewerb um das neue BSS-Gebäude der ETH konnten 2013 die Münchner Nickl & Partner Architekten AG für sich entscheiden. Der Jurybericht würdigte ihren Entwurf unter anderem für seine Offenheit: Der zentrale Entwurfsgedanke besteht darin, durch die Transparenz der Gebäudestruktur die Interaktion mit der Stadt und den Austausch der Forschergruppen untereinander zu fördern.

Die Baustruktur des neuen, fünfeckigen Gebäudes ist darauf ausgerichtet, dauerhaft funktional und flexibel zu sein und höchste Ansprüche an den jeweiligen technischen Standard zu erfüllen. Im oberirdisch gelegenen Gebäudeteil sind Labor-, Büro-, Sitzungs- und Unterrichtsräume, einige Spezialräume sowie eine Cafeteria untergebracht. Um die grösstmögliche Verbindung unter den Einheiten zu schaffen, nutzten die Architekten die maximale Überbauungsfläche aus. Das ermöglichte eine klare, kompakte und flache Gebäudeform. Dem potentiellen Belichtungsproblem in den tiefen Grundrissen wirkt das Konzept neben der vollverglasten Fassade nach aussen mit einem cleveren Schachzug entgegen: einem grossen lichtdurchfluteten Atrium im Inneren.

22 Ebene J: Flurzone-Labore
146 Glasfassade Atrium: Detail

Imposanter Lichthof

Das Atrium ist zentraler Begegnungs- und Kommunikationsort der Hochschuleinrichtung. Es wird von einer gläsernen Kuppel überspannt und bietet damit rund ums Jahr einen witterungsgeschützten Platz. Die innenliegende Fassade des Gebäudes ist transparent mit teilweiser Bedruckung im Brüstungsbereich. Damit entsteht für das gesamte Gebäude eine lichte und durchlässige Atmosphäre mit offenen Blickachsen in alle Geschosse. Die Horizontale, der im Innenraum ablesbaren Geschossdecken wird durch den Fassadenriegel nochmals betont. Indem der Lichthof die vielfältigen Nutzungen offen zeigt, unterstreicht er den kommunikativen Charakter des Gebäudes.

Mit der Erstellung der imposanten Atrium-Fassade von 1685 m2 war die SWM Metallbautechnik AG beauftragt, die vor der Herausforderung stand, die komplette Montage von innen her zu bewerkstelligen. Zudem machten die unterschiedlichen Anforderungen der Gläser die Ausführung anspruchsvoll; die korrekten Brandschutzanschlüsse sowie die ästhetische Umsetzung in allen Belangen waren zu berücksichtigen.

Dabei kam eine Pfosten-Riegel-Konstruktion vom Typ Jansen VISS Fire Fassade EI30 (50 mm) mit objektbezogenen T-Verbindern zum Einsatz. Bei der Laborfassade mit einem Hauptraster von 3,60 m, wurden sechsfeldrige Fassadenelemente, bei der Bürofassade mit einem Hauptraster von 2,40 vierfeldrige Fassadenelemente mit horizontaler Unterteilung auf Geländer-/Brüstungshöhe von 1,10 m umgesetzt. Insgesamt wurden auf den sieben Stockwerken 362 Pfosten-Riegel-Elemente verbaut. Die wärmegedämmte, auf dem System der Trockenverglasung basierende Konstruktion eignet sich ideal für grossflächige Vertikalfassaden. Mit ihren hochisolierten Stahlprofilen ermöglicht sie zum einen die Umsetzung des angestrebten Baustandards Minergie-ECO und „Gutes Innenraumklima“ sowie die Anlehnung an die Zielvorgaben A des SIA-Effizienzpfades Energie (SEE), Bauen für die 2000-Watt-Gesellschaft. Zum anderen ist die Fassade im Hinblick auf das Laborumfeld als Brandschutzfassade ausgebildet. Für die Atriumfassade war eine Zulassung im Einzelfall zur Gewährleistung der Durchsturzsicherheit und EI30 Klassifizierung notwendig

138 Ebene J: Atrium

Gitterfömige Glaskuppel

Überspannt wird das Atrium von einer 20 m x 35 m grossen gläsernen Kuppel mit der Optik einer Gitterschale. Das eingebrachte Netztragwerk ohne Stützen ist das erste seiner Art in der Schweiz. Die Hauptelemente des Dachs kreuzen sich, sodass sich dreiecksförmige Netzelemente in unterschiedlichsten Winkeln bilden. Die Werkstattplanung für das innovative Glasdach-Netztragwerk übernahmen die Ingenieure von formTL – in enger Zusammenarbeit mit dem ausführenden Metallbaubetrieb, der Ruch Metallbau AG.

Als Herzstück der Gitterschale fungiert eine besondere Knotenlösung, die eigens von formTL und Ruch Metallbau für das Projekt entwickelt wurde. Die Stirnflächenknoten-Konstruktion ermöglichte es, den gesamten Herstellungs- und Montageprozess zu optimieren und das Atriumdach ohne Sekundärkonstruktion für die Verglasung zu realisieren. Die Besonderheit des patentierten Knotens liegt darin, dass ein unbearbeiteter Stahlzylinder den Knoten-Mittelpunkt bildet. Die daran anschliessenden Stahlprofile werden passgenau lasergeschnitten und nummeriert, um sie anschliessend einfach zuordnen und mit den Knoten verschweissen zu können.

Das Netztragwerk wurde in 3D geplant. Dank einer Implementierung konnten die Stahlteile anschliessend direkt auf dem Rohrlaser bearbeitet werden. Die RUCH AG produzierte das Dach in sieben segelförmigen Stahlelementen mit Abmessungen von 4 m Breite und 21 m Länge vor und transportiert es anschliessend auf die Baustelle. Vor Ort wurden die Elemente zu einer Netztragstruktur verschweisst. Insgesamt besteht das Dach aus 239 Stück Gläsern, wobei kein Glas die gleichen Masse hat. Die Gläser sind flächenbündig versetzt und im Glas-Stossbereich verfugt.

09 Ansicht NO: Fassade

Doppelte Aussenfassade

Die ebenfalls transparente Fassade zur Stadt hin, geplant durch die Emmer-Pfenniger Partner AG, hebt zunächst die repräsentativen Bereiche des Gebäudes mit grossformatigen Verglasungen hervor. Im EG, teils im OG1 und im OG5 ist die Fassade eine geschosshohe, zum Teil zweigeschossige Pfosten-Riegel-Konstruktion: Entlang der Ostfassade im EG und der Süd- Westfassade im OG1 reagiert sie auf die dahinterliegende Bürostruktur und gliedert sich hier zusätzlich durch opake Lüftungselemente. Im OG5 wird die grossformatige Pfosten-Riegel-Konstruktion im Bereich der Attika wieder aufgenommen, um auch dort die öffentliche, repräsentative Funktion nach aussen ablesbar zu machen. Zur optimalen Ausnutzung von Sonnenlicht und -wärme kam eine 3-fach Sonnen-Wärmeschutz-Isolierverglasung zur Ausführung.

Die Labors und Büros der Regelgeschosse erhielten eine zweischalige Fassade, bestehend aus einer Primärfassade als thermische Hülle und einer geschosshohen Sekundärfassade (Prallscheibe). Die Primärfassade wird aus mehrfeldrigen Holz/Aluminium-Fensterelementen mit einer 3-fach Wärmeschutz-Isolierverglasung gebildet – 789 Stück Fenster der Baumgartner AG auf einer Gesamtfläche von 2908 m2. In den Bürobereichen (in Richtung SW, S, O) wurden sie bei einem Raster von 2,40 m mit je einem Öffnungsflügel, in den Laborbereichen ohne einen solchen im Raster von 3,30 m bzw. 3,90 m ausgebildet. Die Sekundärfassade (Prallscheibe) wurde durch die iQ3 AG mit einem Raster von 2,40 m, in einem Abstand von ca. 60 cm vor die Primärfassade gehängt.

Die Kleinteiligkeit der Primärfassade und die dahinterliegenden Nutzungen werden durch die geschosshohe Prallglasfassade nach aussen überdefiniert. Diese läuft als ein Element um das gesamte Gebäude herum, mit einer Teilung von im Regelfall 2,40 m. So wird ein ruhiges, planes Bild der Aussenfassade erreicht. Die Prallscheibe ist absturzsichernd, aus 2 x 12mm VSG/TVG, ausgebildet. Der Sonnenschutz in Form von Lamellen-Raffstoren liegt hinter der Prallscheibe. Geschlossenen Fassadenelementen wurden beschichtete Aluminiumbleche vorgehängt.

14 Ansicht SO: Fassade

Ausgleichende Konzeption

Die spezifischen Fassadenkonzeptionen ermöglichen, dass das neue Forschungsgebäude die Vorteile der zentralen Lage nutzen kann, ohne durch ihre Nachteile beeinträchtigt zu werden: Die offen angelegte Struktur erlaubt einen intensiven Austausch mit dem unmittelbaren Umfeld, während die Gebäudekonstruktion gleichzeitig Ruhe, Komfort und Sicherheit für konzentriertes Arbeiten gewährleistet. Mit der Inbetriebnahme des BSS-Forschungsgebäudes werden bis zu 600 Mitarbeitende sowie zahlreiche Bachelor/Master-Studierende von einem Umfeld profitieren, das die höchsten technischen Standards für eine hochstehende Forschungsarbeit bietet.

 

Innenfassade

Bautafel

Eigentümerin: ETH Zürich

Nutzerin: ETH Zürich, Departement für Biosysteme (D-BSSE)

Architekten:  Nickl & Partner Architekten Schweiz AG

Generalplaner:  Integrale Generalplaner AG (IGP AG) mit Amstein + Walthert AG, Leonhardt Andrä und Partner Beratende Ingenieure VBI AG, heinekamp Labor und Institutsplanung GmbH

Weitere Planer: EPPAG Emmer Pfenninger Partner AG (Fassadenplanung)
Prallscheibe, Glasfassade: iQ3 AG

Sockelfassade: HUSNER AG Holzbau

Atriumdach, Wendeltreppen, PR-Fassaden: Ruch Metallbau AG

Atriumfassade: SWM Metallbautechnik AG

Energiestandard: Minergie-Eco-Standard, SGNI-Standard Gold

Bauausführung: 2017-2023

 

Fotos: Achim Birnbaum