Steil über dem Wasser wohnen

Mit dem Sluishuis im neuen Amsterdamer Stadtteil IJburg haben Bjarke Ingels Group (BIG) und Barcode Architects ein neues städtisches Wahrzeichen geschaffen. Der «schwimmende» Gebäudekubus ist auf zwei Seiten so angeschnitten, dass ein Teil der 442 Luxusappartements stufenförmig zurückspringt. Für die Wohnungen mit Blick aufs Wasser hat Jansen mit VISS Fire Dachverglasungen fussbogenbündige Schrägfenster realisiert, welche höchste Anforderungen an Traglast und Brandschutz erfüllen.

Die Geschichte von Richard Wagners Oper «Der Fliegende Holländer» (1843) thematisiert einen niederländischen Kapitän, der sich gegen die Kräfte von Wind und Wasser und damit gegen Gott auflehnt und deshalb dazu verdammt wurde, mit seinem Geisterschiff auf den Weltmeeren zu kreuzen. Die Holländerinnen und Holländer haben heute längst mit dem Wasser und seinen Kräften leben gelernt. Mehr noch: In Architektur und Städtebau ist die Nordsee längst zu einem Verbündeten geworden. Anders wäre es auch gar nicht möglich, für die wachsende Bevölkerung genügend Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Ein Fünftel der Landesfläche Hollands ist noch immer von Wasser bedeckt. 3000 Kilometer lange Dämme gegen die Fluten der Nordsee haben es möglich gemacht, dass mehr Land benutzbar und bebaut werden kann. Weil dies nicht genügt, wird vermehrt im und auf dem Wasser gebaut. Im Osten von Amsterdam geschieht dies an der Mündung des Nordseekanals zum Ijsselmeer. Den grossen, einst eingedeichten Binnensee durchpflügen die Niederländer in den Sommermonaten zu Tausenden auf ihren Hausbooten und Plattbodenschiffen. Immer mehr wird hier auch beständig über dem Wasser gewohnt.

Axonometrie

Diagonal angeschnitten

So ist im Amsterdamer Stadtteil IJburg, der aus den drei aufgespülten künstlichen Inseln Haveneiland, Rieteilanden und Steigereiland besteht, seit 1999 ein komplett neues Wohnquartier entstanden mit über 24.000 Bewohnenden. Eine grosse Brücke verbindet IJburg mit dem Festland. Wer auf der Autobahnbrücke A10 von Norden oder Süden auf IJburg hinüberschaut, kann dabei seit kurzem ein Gebäude nicht übersehen: das Sluishuis («Schleusenhaus») der dänischen Architekten BIG und der Rotterdamer Barcode Architects. Der ikonische Wohnkomplex ragt weit ins Ijsselmeer hinaus. Mit seiner silbern schimmernden Aluminiumfassade erhält das Gebäude eine futuristische Anmutung. Die Fassaden haben BIG und Barcode sehr unterschiedlich ausformuliert. Nach Süden und zur Insel hin ist ein Teil der Luxusappartements ähnlich einer Stufenpyramide treppenartig zurückspringend realisiert. Eine steile Treppe führt direkt an den Wohnungen vorbei auf die öffentlich zugängliche, begrünte Dachterrasse. Diese raffinierte Gebäudegeometrie und Terrassierung, die zur Sonne ausgerichtet ist, bildet mit einer Fassadenbekleidung aus Holzlamellen einen «weichen» Kontrast zu den seeseitigen Fassadenoberflächen aus Aluminium.

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Höchste Brandschutz- und Sicherheitsanforderungen

Eine andere Art von Luxus bietet die gegenüberliegende Gebäudeecke, die zum Wasser hin zurückgeschnitten ist. Nicht nur sind hier die Appartements freitragend. Bodenbündige Schrägfenster ermöglichen einen einzigartigen Blick direkt auf das Wasser und die in den Innenhof fahrenden Boote. Die Schrägfenster wurden eigens für diesen speziellen Einsatz über dem Wasser von Jansen zusammen mit Metallbauer M.C. Kersten bv entwickelt. Zur Anwendung kommt die begehbare VISS Fire Dach- beziehungsweise Brandschutzverglasung (AGC Pyrobel) mit einer Dicke von 75 mm, ausgelegt und realisiert für die Brandschutzvorgabe EI60 H35. Die VISS Fire Brandschutz-Dachverglasung wurde mit einer Neigung von zehn bis 75 Grad mit einem Uf-Wert von 1,33 W/m2K geprüft und ist absolut durchsturzsicher. Erforderlich war die höchste Brandschutzvorgabe auch deshalb, weil die Feuerwehr nur vom Wasser her die Wohnungen erreichen kann.

Eingebaut wurden die 42 fertig zusammengebauten Rahmen mit einem Gewicht von je 600 kg mit einer Neigung von 30 Grad. Die kompakten Glaspakete (Gesamtbauteile je 1250 x 3000 mm) wurden vom Dach her an der Fassade abgesenkt, um sie sicher in der Fassadenfläche zu montieren.

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Plaza über dem Wasser

Das exklusive Wohngefühl manifestiert sich auch bei den vertikalen, nach Osten und Westen ausgerichteten Fassadenseiten. Sprungbrettern gleich und mit verglasten Brüstungen versehen, sind die Balkone stufenweise versetzt und ermöglichen so einen exklusiven Ausblick.

Der offene «Innenhof» des elfgeschossigen Bauvolumens kann mit Booten übers Wasser erreicht werden. Hölzerne Anlegestellen und Treppen führen direkt auf die innere Terrassenplattform mit Restaurant, Segelschule und Wassersportzentrum im Sockelgeschoss. So futuristisch und ikonisch die Geometrie auf den ersten Blick erscheinen mag: BIG Architekten und Barcode Architects haben sich im Grundriss für ein «schwimmendes» Wohngebäude von den traditionellen offenen Hofhäusern in Amsterdam inspirieren lassen. Während das Sluishuis vom IJsselmeer aus wie ein tief verankerter Koloss aus dem Wasser ragt, tritt es zur Stadt schwimmend in Erscheinung und artikuliert so einen einladenden Plattformcharakter: Das Gebäude ist durch einen Steg mit IJburg und dem benachbarten Siedlungsraum verbunden. Im Erdgeschoss sowie auf dem Dach ist es komplett für die Öffentlichkeit zugänglich.

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Wasser als ständiger Begleiter

Bjarne Ingels von BIG versteht die Anlage «als Block in Downtown, mit allen Aspekten des städtischen Lebens». Und Dirk Peters von Barcode Architects ergänzt dazu: «Seine ikonische Architektur, die neuen Gebäudetypologien und wunderbaren Aussenflächen mit einem atemberaubenden Blick über das Ijsselmeer machen das Sluishuis zu einem neuen Wahrzeichen für IJburg und Amsterdam.» Und er betont, dass das, was hier entstanden ist, zu wertvoll sei, um es nur der Eigentümer- und Mieterschaft sowie Restaurantbesuchenden zugänglich zu machen. Die aussergewöhnliche Bauweise, wo das Wasser ein ständiger Begleiter ist, bedeutete auf jeden Fall hohe bautechnische (Sicherheits-)Anforderungen.

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VORM Ontwikkeling und Besix RED, Amsterdam entwickelten und realisierten dieses neue architektonische Wahrzeichen mit einer höchst nachhaltigen Energiekennzahl von 0,00: Den Heizbedarf minimiert eine Kombination aus effektiver Dämmung und Dreifachverglasung. Darüber hinaus liefern Lüftungsanlagen und sogar die Duschen eine namhafte Wärmerückgewinnung. Fernwärme und Wärmepumpen für Warmwasser und Kühlung reduzieren den Energiebedarf zusätzlich. Den Energieverbrauch speziell für Heizung, Wärmepumpen, Belüftung und LED-Beleuchtung decken 2200 Quadratmeter Sonnenkollektoren ab.

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BAUTAFEL

Bauherrschaft: VORM Ontwikkeling und Besix RED, Amsterdam

Architektur: Bjarke Ingels (BIG), Kopenhagen, und Barcode Architects, Rotterdam 

Metallbau: M.C. Kersten, Amsterdam  

Systemlieferant: Jansen AG, Oberriet

Verwendetes Profilsystem: Jansen VISS Fire Dachverglasung

 

Fotos: Ossip Architectuur Fotografie, Rotterdam